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Zu Beginn meiner Ausführungen will ich Ihnen, sehr geehrte Frau Ross-Luttmann, auch von dieser Stelle aus noch mal zu ihrer Ernennung als Sozialministerin gratulieren. Ich wünsche ihnen eine glückliche Hand im Interesse der benachteiligten und gehandicapten Menschen in unserem Land. Wir verbinden das mit der Hoffnung, dass Selbstinszenierung wieder durch sachorientierte Politik ersetzt wird. Sie haben selber Parlamentsarbeit kennen gelernt. Deshalb erwarte ich, dass Parlament und Fachausschuss wieder ernst genommen werden. Dazu gehört auch, dass Gesetzesvorhaben nicht regelmäßig im Schweinsgalopp durch den Ausschuss gepeitscht werden sollen. Dazu gehört auch, dass das Ministerium bei wichtigen Themen im Ausschuss wieder durch die Hausspitze und ansonsten durch die Abteilungsleiterebene vertreten wird. Wenn der MP im Zusammenhang mit der Wahl ihrer Vorgängerin zu Bundesfamilienministerin festgestellt hat: Frau von der Leyen hat in Niedersachsen bereits bewiesen, wie erfolgreiche Sozialpolitik gemacht wird, so mag das aus Sicht des MP und des Finanzministers stimmen. Aus der sozialpolitischen Szene weint dieser Ministerin jedenfalls keiner eine Träne nach - und aus Teilen der CDU anscheinend auch nicht (s. HAZ vom 12.10.05). Von der ersten Regierungsminute an hatte sich die ausgeschiedene Sozialministerin nicht etwa schützend vor die ihr anvertrauten Menschen gestellt. Vielmehr war sie die Speerspitze eines in diesem Ausmaß noch nie erfolgten Sozialabbaus in Niedersachsen. Die sozial-, familien- und jugendpolitische Bilanz dieser Landesregierung ist nach 3 Jahren verheerend. Frau von der Leyen hat viel verbrannte Erde hinterlassen und viel Vertrauen zerstört.

Z. B. 2005 Landespflegegesetz

Die gesamten Landesmittel für die stationäre Altenpflege wurden gestrichen, angeblich zur Stärkung der ambulanten vor der stationären Pflege. Ergebnis: Über 10.000 Menschen wurden zusätzlich in die Sozialhilfe gedrängt und werden jetzt in Mehrbettzimmer untergebracht. Ein Lebensabend ohne Privat- und Intimsphäre. Eine würdelose Leistung für eine christliche Partei! Behindertenpoltik wird mit der Abrissbirne betrieben. Noch im Januar 2003 stellte der MP (in SYNODEdirekt) u.a. fest: psychologische Beratung, Obdachlosen- oder Nichtsesshaftenhilfe dürfen nicht in Frage gestellt werden Tatsächlich haben sie dieses Jahr
  • die Mittel für Obdachlose ersatzlos gestrichen ( 3 Mio Euro)
  • die Zuschüsse für geistig Behinderte in Nachsorgeeinrichtungen (für Drogenabhängige) auf Null gesetzt,
  • und nächstes Jahr werden die Zuschüsse für geistig Behinderte Menschen in Wohngemeinschaften ebenfalls auf Null gestellt.
Das ist genau das Gegenteil von den Versprechungen des MP Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit sehen anders aus.

Nullrunde/Behinderteneinrichtungen

Noch in seiner Regierungserklärung hatte der MP festgestellt: Wir müssen vor allem den sozialen Einrichtungen Planungssicherheit geben, damit sie wissen, woran sie sind und ihre Arbeit auf einer klaren Grundlage fortführen können. Tatsächlich zwingt diese LR den Behinderteneinrichtungen 2006 die 3. Nullrunde in Folge auf. Das entspricht einer faktischen Kürzung von 3x14 Mio. Euro = 42 Mio Euro - eine gigantische Summe. Das bedeutet weniger Fachkräfte, Flucht aus Tarifverträgen, und vor allem weniger Zeit für Zuwendungen, gerade für Schwerst- und Mehrfachbehinderte. Sauber, satt und ruhig war die Behindertenpolitik der 50er Jahre. Sie sind dabei, dorthin zurückzukehren.

Behindertengleichstellungsgesetz

Dass die Behinderten in diesem Land immer noch auf das wiederholt vollmundig angekündigte Behindertengleichstellungsgesetz warten, vervollständigt dieses Bild nur noch. In ganz Deutschland gibt es nur noch 2 Bundesländer, die den Behinderten die gesetzliche Absicherung ihrer Rechte verweigern Niedersachsen ist natürlich dabei (2. Land MeckPom, dafür aber höchste Blindengeld von über 500 Euro) Der von der SPD-Regierung eingebrachte Gesetzentwurf ging ihnen damals nicht weit genug und sie selber bekommen auch im 3. Jahr dieser Regierung noch nicht einmal eine Vorlage zustande was für ein Offenbarungseid im Umgang mit Behinderten.

Landesblindengeld

Die faktische Streichung des Landesblindengeldes zu Jahresbeginn hat zwischenzeitlich unsere schlimmsten Befürchtungen bestätigt Seit Anfang Januar stieg der Anteil blinder Menschen in Niedersachsen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, von 10 % auf 25 %. Der noch von Frau von der Leyen eingerichtete Härtefallfonds" ist grandios gescheitert. Der Blindenverband stellte dazu jüngst fest: Kann eine CDU/FDP-Landesregierung verantworten, dass schon heute der Anteil blinder Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, doppelt so hoch ist, wie in anderen Bevölkerungsschichten und in 2 Jahren 5x so hoch ist. Blinde Menschen, die wie jeder andere z.B. eine angemessene Alterssicherung betrieben oder einen Notgroschen zurückgelegt haben, erhalten keine Leistung mehr. Die Landesregierung verordnet diesen Menschen ein Leben in Armut und sie schiebt Blinde dadurch letztendlich in Pflegeheime ab. Statt diese Fakten endlich zur Kenntnis zu nehmen und zu korrigieren, legen Sie sogar noch. Die Landesregierung versucht nun auch noch das Landesbildungszentrum für Blinde schnell loszuwerden. Der Begriff soziale Kälte ist für dieses Verhalten noch schmeichelhaft. Frau Ross-Luttmann stellte in einer PI am 4.5.05 fest: Gerade im Umgang und bei der Förderung von Menschen mit Behinderungen setzen CDU und FDP einen deutlichen finanziellen Schwerpunkt. Damit geben wir behinderten Menschen mehr Autonomie. Frau Ministerin, ich weiß nicht, wer Ihnen das aufgeschrieben hatte, aber für Behinderte, insbesondere Blinde ist das der blanke Hohn, und da haben die von ihrer Vorgängerin noch reichlich genug. Die SPD hat in ihrem Haushaltsantrag das Blindengeld jedenfalls wieder finanziert. Das niedersächsische CDU-Wahlergebnis bei der Bundestagswahl war der erste Schuss vor den Bug und das Volksbegehren des Blindenverbandes wird der nächste werden - und den haben Sie auch dringend nötig, meine Damen und Herren.

Jugendpolitik

Nach dem Scheitern in der Behindertenpolitik will die LR nun wenigstens in der Jugendpolitik punkten. 2006 soll das Jahr der Jugend werden, darin sind wir uns alle einig. Faktisch hat Jugendpolitik bei der bisherigen Sozialministerin überhaupt nicht stattgefunden, allenfalls in Form von Kürzungen, z.B.
  • Kürzungen beim Kinder- und Jugendschutz (2003-10%)
  • Kürzungen bei Trägern der Jugendarbeit innerhalb von 2 Jahren um 75%, von 2,6 Mio. auf jetzt 0,5 Mio.
  • Die Mittel für den Kinder- und Jugendplan von 2,6 Mio. Euro haben sie gleich komplett rasiert.
Die Landesstelle für Jugendschutz stellte dazu fest (23.7.04): Kriterien für Kürzungen erscheinen weder transparent noch abgestimmt. Eine Fortschreibung einer landesweiten Kinder- und Jugendplanung ist nicht in Sicht. Der mehrfach durch Frau von der Leyen angekündigte Landesaktionsplan für den Kinder- und Jugendschutz besteht noch nicht einmal im Entwurf. Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gibt es einen Dauer-zuständigkeitsstreit zwischen dem Sozial- und Wirtschaftsministerium. Die Verlierer dieser Untätigkeit sind vorallem die Jugendlichen. Ergebnis: die Jugendarbeitslosigkeit entwickelt sich in Niedersachsen im Gegensatz zum Bundestrend zusehends negativ. Sonntags reden Sie davon, dass Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sind, und mit Ihrer tatsächlichen Politik lassen Sie sie im Regen stehen.

Schwerkranke/Palliativ

Wenn ich gerade bei Kindern und Jugendlichen bin: Da reden wir hier mehrfach übereinstimmend über die Situation von Schwerstkranken und ausgerechnet bei schwerstkranken Kindern wird der schon einmal deutlich reduzierte Ansatz erneut um 129.000 Euro gekürzt (von 601.000 Euro auf 472.000 Euro). Ich finde das ungeheuerlich. Da führt die Landesregierung einen fruchtlosen Streit über ein mögliches Verbot von "Dignitas", anstatt sich endlich ganz konkret darum zu kümmern, dass die Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden im Lande endlich verbessert wird. Seit über einem Jahr liegt der Beschluss des Landtages auf dem Schreibtisch der Sozialministerin: Am 28 Oktober 2004 beauftragten wir die Landesregierung einstimmig ein Konzept für die Weiterentwicklung der palliativmedizinischen Versorgung in Niedersachsen [] vorzulegen. Außer Fensterreden und unverbindlichen Ankündigungen ist seitdem so gut wie nichts geschehen, und es wurde nicht nur an dieser Stelle deutlich, wie ignorant unter Frau von der Leyen mit Beschlüssen des Parlaments umgegangen worden ist.

Frauenpolitik/Familie

Frauenpolitik im Land ist nach der ersatzlosen Streichung aller Frauenprojekte nur noch begrenzt auf das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dabei ist es falsch, Vereinbarkeit und Gleichberechtigung gegeneinander auszuspielen. Unabhängig davon hatte die LR im 100 Tage-Programm neue Konzepte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf angekündigt
  • für den haushaltsnahen Dienstleistungsbereich,
  • Elternschaft und Beruf
  • Familienfreundliche Betriebe
vorzulegen. Nichts davon ist bisher erfolgt. Stattdessen wurde auf der Bundesebene das Tagesstättenausbaugesetz, der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit und das geplante Elterngeld von der Sozialministerin bekämpft. Dass sie nun als Bundesministerin mit Inbrunst für diese sozialdemokratische Familienpolitik eintritt, ist nicht nur Ironie des Schicksals, sondern spricht für die bekannte Wendigkeit. Ich hoffe nur, die Landesregierung gibt jetzt ihren Widerstand gegen diese Vorhaben auf.

Städtebau/Wohnungswesen

Im 100-Tageprogramm des Sozialministeriums steht zu lesen: Aufstellung eines erweiterten Städtebauförderungs- und Wohnraumförderprogramms. Tatsächlich haben sie im Jahre 2005 überhaupt keinen Euro Landesmittel in die Stadtsanierung investiert. Dadurch werden rund 450 Mio Euro an Investitionen in den nächsten 4 Jahren verhindert. 2006 setzen sie nun das Wohnungsbauprogramm aus, also weitere 40 Mio. Euro an Investitionskosten die der Bauwirtschaft fehlen. Das neue Bundesprogramm Stadtumbau West wird erst gar nicht begonnen. Sie machen genau das Gegenteil von dem, was sie von der SPD-Landesregierung immer gefordert haben. Heute spielt die niedrige Investitionsquote des Landes keine Rolle mehr. Sie schwadronieren zwar gerne über Arbeitsplätze, mit ihrer eigenen Politik allerdings vernichten sie Arbeitsplätze, vor allem in der Bauwirtschaft. Auch hier gilt: Handeln und Reden klaffen weit auseinander.

Landeskrankenhäuser

Herr McAllister hat vor einigen Tagen in der Presse erklärt, die CDU muss mehr Geschichten erzählen. Damit haben Sie nun wirklich kein Problem. Nach Ihrem immer noch aktuellen Bestseller zum Landesblindengeld, haben sie sich nun mit gleicher Verbohrtheit den Landeskrankenhäusern zugewandt. Während private Krankenhausträger auf Anraten der Landesregierung kooperieren und fusionieren, machen Sie bei den LKHs selber genau das Gegenteil. Sie zerlegen ein hochprofitables Landesunternehmen in Einzelteile. Allein im Jahre 2003 hat der Finanzminister 10 Mio. Euro abgeschöpft. 3 Jahre lang wurde der Öffentlichkeit erklärt, dass kein Anlass besteht, die öffentliche Trägerschaft in Frage zu stellen, und in Wirklichkeit wurde die ideologisch geprägte Privatisierung hinter den Kulissen knallhart vorbereitet. Sie haben Patienten und Beschäftige arglistig getäuscht, und Sie versuchen diese Nummer weiter. Während die neue Ministerin erklärt, sie wolle die Gespräche intensivieren und es sei noch nichts entschieden, wird sie schon vor ihrem Amtsantritt vom Finanzminister vorgeführt. In ihrer Haushaltsklausur vom 14.11.05 haben CDU und FDP, u.a.beschlosssen: Prüfung von Alternativen/ Wahrung der Rechte von Beschäftigten/ Fortführung der Ausbildungsplatzangebote/ und patientengerechte Qualitätsstandards. In der EU-Ausschreibung des Finanzministers vom 21.11.2005 findet sich davon nichts wieder. Darin werden ausschließlich die Privatisierung und die Schaffung von 200 Plätzen im Maßregelvollzug als Auftrag beschrieben. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Arroganz der Macht Sie schon zur Halbzeit ihrer Regierungstätigkeit unterwegs sind. Machen Sie nur weiter so. Zukünftig werden Sie von dieser selbstgefälligen Politik nicht mehr mit dem Hinweis auf die Bundesregierung ablenken können. Die aufgebrachten Beschäftigten sollte Staatssekretär Hoofe beruhigen. Die Ministerin hatte kein einziges Haus besucht, und auch der MP hält sich vornehm zurück. Ist schon klar, warum Sie eine offene Debatte scheuen: 1. Die LKHs gehören landesweit zu den qualitativ Besten. (Das hat schon vor 2 Jahren ein Qualitätsbericht des MS bestätigt.) 2. Auch der Maßregelvollzug ist im Hinblick auf therapeutische Effizienz und Sicherheit bundesweit Spitze. 3. Der Ausbau des Maßregelvollzugs ist auch ohne Verkauf der LKHs zu leisten. Der Verwaltungsdirektor der privatisierten thüringischen Landeskrankenhäuser hat in einer Veranstaltung der SPD-LF klargestellt: 1. Privatisierung bewirkt nichts, was nicht auch durch Kosten- und Konflikt- Management gelöst werden. 2. Kommerzielle Privatisierung bewirken bei der üblichen Umsatzrendite von 20-30% keine Kosten-, sondern Personalminimierung, 3. Arbeitsplatzsicherung maximal ein Jahr, dann Haustarif 4. Klagefreudigkeit der Träger gegenüber Land und Kostenträgern nimmt deutlich zu (siehe in Nds. Wahrendorf) 5. Billiger wird es für das Land nicht, mittelfristig sogar teurer. 6. Eine neue Variante der Drehtür-Psychiatrie droht Dass Sie alle Ratschläge und Hinweise aus der gebündelten Fachwelt ignorieren und dass damit ein massiver Vertrauensverlust der Landesregierung verbunden ist, belastet uns politisch wirklich nicht. Dass Sie dieses aber gegen jeden Vernunft auf dem Rücken der PatientenInnen und Beschäftigen austragen und darüber hinaus die finanziellen Interessen des Landes nachhaltig schädigen, werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen. Allen Beteiligten ist klar, dass es zu einer Neuaufstellung der Landeskrankenhäuser kommen muss. Sowohl der Landesrechnungshof als auch das Gutachten von Ver.di haben überzeugende Alternativen aufgezeigt, die wir inhaltlich teilen. In einen Interview der NP hat der MP am 5.12.2005 gesagt: Wir sollten uns zum Anwalt der Bürger machen, statt in volkswirtschaftlichen Kategorien über ihre Köpfe hinweg zu reden. Na, dann fangen Sie einfach mal an, die LKH mit ihren psychisch Kranken und deren Angehörigen wären dazu eine gute Gelegenheit.

Schlussbetrachtung

Die neue Ministerin hat eine schwere Hypothek übernommen. Das Verhältnis zu den Wohlfahrtsverbänden und Sozialverbänden ist inzwischen tief zerrüttet. In der Geschichte Niedersachsens hat es bisher zwei Krisengipfel der Wohlfahrtsverbände geben, beide in der Amtszeit dieser Landesregierung (4.11.03 und 25.11.04 in 3 Jahren 25% der Mittel gekürzt)) Die SPD-Fraktion bietet der neuen Ministerin die Zusammenarbeit an, um für die Betroffenen endlich diese sozialpolitische Geisterfahrt zu beenden und zum Sozialen Niedersachsen zurückzukehren. Sollten Sie jedoch die Politik ihrer Vorgängerin der blinden und ideologisch motivierten Abräumerei fortsetzen, werden wir dieses ebenso entschieden bekämpfen.