„In Würde altern – Selbstständigkeit stärken – Altersdiskriminierung bekämpfen“
Anrede!
Mit dem demographischen Wandel unserer Gesellschaft steigt der Bevölkerungsanteil der über 60-jährigen von heute 23 % auf bis zu 40 % im Jahre 2050 an. Das heißt, er wird sich in den nächsten 40 Jahren verdoppeln.
Dieser wachsende Anteil älterer Menschen ist eine Chance für die Gesellschaft und nicht nur eine Herausforderung für die sozialen Sicherungssysteme.
Die meisten älteren Menschen streben keineswegs einen völligen Rückzug aus ihren gesellschaftlichen Aktionsfeldern an. Viele Seniorinnen und Senioren sind vielmehr und glücklicherweise zu einer Fortsetzung ihres Engagements in Familie, Beruf, Wirtschaft und Gesellschaft bereit.
Das wird vor allem dadurch möglich, dass es in Deutschland noch nie so viele gesunde, mobile und gut ausgebildete ältere Menschen gab wie heute.
Unsere Gesellschaft kann heute nicht und erst recht nicht in der Zukunft auf die aktive Mitwirkung und Gestaltungskraft der älteren Generationen verzichten.
Das bürgerschaftliche Engagement älterer Menschen hat einen hohen gesellschaftlichen Nutzen. Die Politik hat für dieses Engagement geeignete Rahmenbedingungen und Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Wir müssen das Spektrum an Angeboten für die Teilhabe und Mitwirkung der älteren Generation weiterentwickeln und auf deren Erfahrungen und Interessen ausrichten.
Die Senioren sind die am stärksten wachsende Bevölkerungsgruppe. Sie verfügen zum Teil über eine bedeutende Kaufkraft. Erstaunlicherweise oder erschreckenderweise hat die Wirtschaft diesen Wachstumsmarkt mit seinen Ansprüchen und Bedarfen an Produkten und Dienstleistungen für ältere Menschen immer noch nicht ausreichend erkannt. Aufgabe der Wirtschaft ist es, verstärkt für altersgerechte Produkte zu sorgen, z.B. in der Kommunikationstechnik.
Es gibt aber leider auch die andere Seite des Alterns, die Altersdiskriminierung.
Begriffe wie „Rentnerschwemme“, „Alterslawine“, „Überalterung“, „sozialverträgliches Frühableben“ erwecken den Eindruck, als wären ältere Menschen bedrohlich für unsere Gesellschaft.
Negative Altersbilder, wie „Ältere seien stets krank, pflegebedürftig und nicht ganz ernst zu nehmen“, führen zur Verfestigung von Vorurteilen und begünstigen die Entstehung von Vorurteilen und Diskriminierungen.
Es gibt vielfältige Formen der Altersdiskriminierung, wobei die Altersgrenzen selber dabei sehr unterschiedlich gesehen werden.
So lehnte die Lufthansa im Frühjahr dieses Jahres die unbefristete Einstellung einer 48-jährigen Stewardess ab. Die Lufthansa begründete die Ablehnung mit dem höheren altersbedingten Krankheitsrisiko. Die Frau klagte und bekam im Juni 2007 Schadensersatzansprüche vom Frankfurter Arbeitsgericht zugesprochen.
Über 50-jährige finden nur schwer einen neuen Arbeitsplatz, es sei denn, diese werden staatlich subventioniert.
Immer noch gibt es Unternehmen, die Stellenanzeigen mit unbegründeten Altersangaben versehen oder bei betrieblich organisierten Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausgrenzen.
Dieses Verhalten von Industrie und Handel ist ein Irrweg.
Sie können nicht gleichzeitig Fachkräftemangel beklagen, unzureichend ausbilden und ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor die Tür setzen. Damit schaden die Unternehmen sich und unsere Volkswirtschaft nachhaltig.
Solange die Wirtschaft auf diesem Wege nicht umkehrt, und sie wird umkehren müssen, ist die Forderung von Kurt Beck nach einer verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unverzichtbar.
Alles andere kann unverschuldete Armut und Altersarmut bedeuten. Altersarmut jedoch und die zunehmende, verschämte Armut ist mit dem damit verbundenen Verzicht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eine schwerwiegende Form der Diskriminierung, die die Menschenwürde tief verletzt und für uns völlig inakzeptabel ist.
Es gibt viele andere Beispiele der Altersdiskriminierung, und das sind leider keine Einzelfälle:
Da verweigert eine Bausparkasse einem langjährigen Kunden mit Beginn des 65. Lebensjahres den Abschluss einer Restschuldversicherung wegen seines Alters.
Da werden Darlehen mit Verweis auf das Alter von Banken abgelehnt und die Kreditwürdigkeit von Senioren von Banken auf ein Minimum begrenzt.
Da werden notwendige, aber kostspielige medizinische Behandlungen, präventive, physio- und psychotherapeutische Leistungen, sowie Rehabilitationsmaßnahmen verweigert. Zum Beispiel einer 69-jährigen eine Reha-Maßnahme, weil sie als Rentnerin Zeit habe, alles selbst auszukurieren.
Für eine 72-jährige wurde ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen der Pflegedienst eingeschaltet, ohne dass vorab ihre Kompetenzen und ihr privates Umfeld erfragt oder berücksichtigt wurden.
Teilweise werden solche Debatten aus dem politischen Raum noch angeheizt.
Ich erinnere nur an den CDU-Bundestagsabgeordneten Philipp Mißfelder, der nichts davon hält, wenn 85-jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen (Tagesspiegel 3.8.03).
Bei all diesen Beispielen, und es gibt davon noch reichlich, ist es gut, dass unter der rot-grünen Bundesregierung in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz oder wie es jetzt heißt: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auf den Weg gebracht wurde. Es hätte übrigens schon deutlich früher in Kraft treten können, wenn u.a. nicht auch der Niedersächsische Ministerpräsident und die CDU das Gesetz solange blockiert hätten.
Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie
- das Antidiskriminierungsgesetz konsequent umsetzt, bestehende Diskriminierungen und Benachteiligungen vorbehaltlos aufdeckt, um so die Interessen älterer Bürgerinnen und Bürger angemessen vertreten zu können.
- in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen ein Miteinander der Generationen so fördert, dass alle Altersgruppen vom gegenseitigen Erfahrungsschatz profitieren und einem Generationenkonflikt vorgebeugt wird.
- die flächendeckende Einrichtung von Seniorenvertretungen voranbringt, um so die „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu stärken.
- ein Landesprogramm zur Bekämpfung der Altersdiskriminierung vorzulegen und dieses Programm gemeinsam mit den Seniorenvertretungen, Kirchen, Vereinen und Verbänden zu entwickeln.
- Dieses Programm soll die Altersdiskriminierung systematisch erfassen, den Abbau von Altersdiskriminierung fördern und Wirtschaft und Gesellschaft stärker für die Belange älterer Menschen sensibilisieren.