Landesblindengeld als Nachteilausgleich erhalten
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es vorweg zu sagen: Auch sozialdemokratische Finanzminister hatten das Landesblindengeld immer im Blick. Allerdings hat die SPD-Fraktion immer gewusst, wo die Grenzen sind.
1996 wurde das Landesblindengeld um 10 % abgesenkt und 1999 die Dynamisierung für drei Jahre ausgesetzt. Dies geschah immer nach Gesprächen mit dem Landesblindenverband. Wir haben den Landesblindenverband als ausgesprochen fairen und konstruktiven Partner erlebt. Er konnte sich allerdings auch darauf verlassen, dass das, was vereinbart wurde, eingehalten wird.
Meine Damen und Herren, Sie haben im vergangenen Jahr das Landesblindengeld um 20 % auf 409 Euro, das entspricht der Pflegestufe II, abgesenkt und den Blinden versprochen, dass es damit für diese Legislaturperiode tabu ist.
Als die SPD am 20. Dezember 1999 die Dynamisierung aussetzte, stellte der heutige Finanzminister Möllring im Landtag fest:
»Wenn ... ein Kompromiss geschlossen und gesagt wird: "Ihr, alle Blinden in Niedersachsen zusammen, verzichtet zugunsten des Landeshaushaltes auf ein paar Millionen DM" und im Gegenzug versprochen wird "Dafür habt ihr über viele Jahre Ruhe", dann aber ein solcher Gesetzentwurf hingelegt wird, müssen sich diese Menschen doch wirklich verklappst fühlen. Sie müssen sich doch fragen, wie man mit dieser Landesregierung überhaupt noch reden kann, wenn man hinterher so vorgeführt wird.«
Meine Damen und Herren, wenn Ihre Aussagen und Moralansprüche von damals heute, wo Sie selbst in der Verantwortung sind, noch Gültigkeit haben, dann ziehen Sie Ihren wirklich schändlichen Vorschlag zurück, den Blinden das gesamte Geld wegzunehmen.
Niedersachsen steht unter den 16 Bundesländern an vorletzter Stelle. Nur Bremen liegt noch hinter uns. Das finanzschwache, CDU-geführte Thüringen hat vor einigen Tagen die Absenkung des Landesblindengeldes beschlossen, und zwar auf Bundesdurchschnitt. Das sind 450 Euro monatlich.
Meine Damen und Herren, wollen Sie uns wirklich weismachen, dass es Niedersachsen finanzpolitisch schlechter geht als einem der neuen Bundesländer? - Ich sage Ihnen: Sie wissen ganz genau, was hier passiert. Dies ist eine Prioritätensetzung. Sie setzen seit Regierungsübernahme die Prioritäten konsequent gegen behinderte Menschen in diesem Land.
Ich habe in zahlreichen Gesprächen mit dem Blindenverband in den vergangenen Jahren und auch jetzt sehr, sehr viel von der Lebenssituation der Blinden gehört. Herr Althusmann, ich finde, das hat nichts mit Schmalz zu tun. Wissen Sie, der Blinde hat beispielsweise einen Nachteil: Der kann nicht sehen.
Mir ist klar, was das in einer Welt bedeutet, in der 80 % bis 90 % aller Informationen mit den Augen erfasst werden. Sehende brauchen keine Hilfe beim morgendlichen Ankleiden, auch nicht bei der Körperpflege. Sie laufen nicht Gefahr, die Zahnpasta mit dem Duschgel zu verwechseln. Sie brauchen keine Hilfe bei der Essensvorbereitung, der Nahrungsaufnahme oder dem Erkennen von vergammelten Lebensmitteln. Sie brauchen keinen Helfer zum Vorlesen der Tageszeitung oder der Post. Sie brauchen auch keine Begleitperson zum Einkaufen oder zum Arztbesuch oder Hilfe für hauswirtschaftliche Verrichtungen. Vieles, was für uns selbstverständlicher Tagesablauf ist, können blinde Menschen ohne fremde Hilfe und teure Hilfsmittel nicht. Wenn wir einmal im Geiste unseren eigenen Tagesablauf durchgehen, dann werden wir sehr schnell feststellen, wie erschreckend hilflos wir wären, wenn wir in der Situation von blinden Menschen wären.
Wenn die Blinden nur ansatzweise ein eigenständiges selbstbestimmtes Leben führen wollen, müssen sie für die Hilfsmittel und Güter des täglichen Lebens häufig bis zum Zwangzigfachen des Normalpreises hinblättern. Für diesen erheblichen finanziellen Mehraufwand - das ist längst nicht ausreichend als Lastenausgleich - wurde 1963 einstimmig in diesem Landtag das Landesblindengeld - wie in allen anderen Bundesländern übrigens auch - eingeführt.
Wir hier vor zwei Jahren - auch einstimmig - das persönliche Budget für Behinderte beschlossen. Die Ministerin hat das draußen als großen behindertenpolitischen Erfolg verkündet. Ich sage Ihnen: Genau da, wo das persönliche Budget seit 40 Jahren all das erfüllt, was wir von ihm erwarten, nämlich ein selbstbestimmtes Leben, wollen Sie es abschaffen.
Das ist übrigens nicht der einzige Punkt, an dem das Handeln der Sozialministerin in krassem Widerspruch zu Ihren teilweise herzzerreißenden Kolumnen steht. 64 % der Einsparungen im Sozialbereich drücken Sie ausschließlich den blinden Menschen in Niedersachsen auf. Zum zweiten Mal hintereinander benutzen Sie behinderte Menschen als Sparbüchse Ihres Ministeriums. Ich finde dieses Verhalten - ganz sachlich festgestellt - unanständig und einer Sozialministerin unwürdig.
Sie reden von Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsvereinfachung und treiben 12 000 Blinde zur Vermögensoffenlegung in die Sozialhilfe. 75 % aller Blinden sind über 60 Jahre. Acht von zehn sind mehrfach behindert, einige mit dem schweren Schicksal der Taubblindheit. Glauben Sie wirklich, dass Menschen, die 80 Jahre oder älter sind, zu ihren Kindern gehen, um sie um Offenlegung ihres Vermögens und um finanzielle Hilfe bis zum Lebensende zu bitten, nur weil Sie ihnen das Landesblindengeld wegnehmen? Diese Menschen machen das nicht. Sie verzichten eher auf Nahrungsaufnahme. Was Sie hier machen, ist nichts weiter, als diesen Menschen das Selbstwertgefühl und die Selbstachtung zu nehmen.
Mit Ihrem Rückfall in die 50er-Jahre machen Sie blinde Menschen zu Almosenempfängern. Sie schieben im Übrigen einen Großteil von ihnen mittelfristig in Heime ab. Ganz nebenbei belasten Sie die Sozialhilfe mit 25 Millionen Euro zusätzlich. Nur so viel zum Thema Konnexität.
Unter dem Druck der empörten Öffentlichkeit stellte die Sozialministerin in einer Pressemitteilung am 9. September in der Überschrift fest: Wir werden auch in Zukunft für bedürftige Blinde da sein. Das Land Niedersachsen stellt 25 Millionen Euro als Hilfe für bedürftige Blinde bereit. - Ich finde, diese Formulierung ist bewusst irreführend. Denn was machen Sie hier? Die Pflichtleistungen des Landes nach dem Bundessozialhilferecht werden von Ihnen als Wohltat des Landes dargestellt. Frau Ministerin, ich finde das nur noch peinlich und halte es überdies für eine Verhöhnung der Betroffenen.In der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Wulff vom 4. März 2003 stellte dieser fest - ich zitiere : In unserem Land galt einmal der Begriff soziales Niedersachsen als ein Markenzeichen. Nächstenliebe und Dienen sind nicht aus der Mode. Sie machen aus, was Menschlichkeit heißt. Wir wollen in diesem Sinne an das soziale Niedersachsen wieder anknüpfen. - So weit Christian Wulff.
Meine Damen und Herren, was Sie unter Nächstenliebe verstehen, wissen die Blinden jetzt ganz genau. Ich fordere Sie auf, Ihren wirklich unsäglichen Kabinettsbeschluss unverzüglich zurückzunehmen.