Patientenrechte und Patientensouveränität stärken, Patientenbeauftragte(n) berufen, Patientinnen und Patienten stärker beteiligen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist unstreitig, dass unser Gesundheitssystem sehr komplex und kompliziert ist. Auch unstreitig ist: Wenn Menschen, die krank, schwer krank oder pflegebedürftig sind, in dieses System kommen, dann stehen sie den unterschiedlichen Zuständigkeiten oft hilflos gegenüber. Sie fühlen sich den Leistungserbringern zum Teil schutzlos ausgeliefert. Vielfach können sie mit den Fachausdrücken überhaupt nichts anfangen. Wenn Patienten oder deren Angehörige dann den Mut haben, sich an Stellen zu wenden, von denen sie glauben, dass sie ihnen helfen, so landen sie in der Regel bei Menschen, die einseitig Standesinteressen vertreten. Sie landen aber nicht vor unabhängigen Patientenschutzbeauftragten. Das ist im internationalen Vergleich in Deutschland ein ziemliches Problem. Wir sind an dieser Stelle, international gesehen, ausgesprochen rückständig.
Insofern war es konsequent und richtig, dass auf der Bundesebene - übrigens mit den Stimmen der CDU - die Patientenschutzbeauftragte eingerichtet worden ist. Diese Patientenschutzbeauftragte hat zwischenzeitlich über 30 000 Kontakte pro Jahr - im vergangenen Jahr übrigens sehr viele aus Niedersachsen im Zusammenhang mit der Problematik in der Kieferorthopädie. Das ist also ein Indiz dafür, dass solche neutralen Stellen notwendig sind. Sie sind u. a. in Berlin bereits realisiert und in Bremen geplant. Wir glauben, Frau Ministerin, dass das Argument der Kosten bzw. die Frage, wo diese angesiedelt werden sollen, Scheinargumente sind. Diese Landesregierung prahlt immer damit, wie viele hundert Stellen sie bei den Bezirksregierungen im Rahmen der Verwaltungsreform freigesetzt hat. Dabei sind in der Regel auch Stellen, auf denen hoch qualifizierte Personen sitzen, die ohne Schwierigkeiten eine solche Stelle auf Landesebene besetzen könnten. Das heißt, das wäre für Sie kostenneutral, wenn Sie es wollten. Sie wollen es aber nicht.
Sie argumentieren auch damit, dass man zu Verbraucherschutzstellen oder Wohlfahrtsverbänden gehen könnte. Diesen Stellen haben aber diese Mehrheit und diese Landesregierung die Mittel drastisch gekürzt. Gleichzeitig will sie ihnen mehr Aufgaben zuschustern. Hier stimmt, so meine ich, die Argumentation nicht.
Sie verweisen auf die Schlichtungsstelle bei der Ärztekammer. Die Verfahren bei der Schlichtungsstelle der Ärztekammer dauern in der Regel 14 Monate. Auch das haben die Beratungen im Ausschuss deutlich gemacht. Darüber hinaus befindet sich bei dieser ärztlichen Interessenvertretung bei der Kammer kein einziger Patientenvertreter. Wenn ich aber unabhängige Beratungen gewährleisten will, dann muss ich auch sicherstellen, dass dort Patientinnen- und Patientenvertreter mitarbeiten und beraten können.
Sie lehnen aber mit diesem Antrag nicht nur die Patientenbeauftragte bzw. den Patientenbeauftragten ab, sondern Sie lehnen es sogar ab, gemeinsam mit Krankenkassen und Heilberufen eine Informationsoffensive für Patientenrechte zu starten. Diese Forderung ist doch so unproblematisch, dass es mich erstaunt, dass Sie selbst diese nicht unterstützen und mittragen wollen. Sie lehnen schlichtweg alles ab, was die Position von Patientinnen und Patienten verbessern könnte. Sie tragen immer viel vor, was man alternativ machen könnte. Ich frage mich nur: Wenn Sie das alles so meinen, wie Sie es sagen, warum nehmen Sie das Parlament dann eigentlich nicht auch ernst und bringen Änderungsanträge ein? - Sie haben sich die Mentalität angewöhnt, zwar zu argumentieren, aber inhaltlich nichts mehr gestalten zu wollen, und die Anträge der Opposition schnurstracks abzulehnen. Es ist keine tolle Nummer, die Sie hier sozialpolitisch abziehen, meine Damen und Herren.
Es geht ja noch weiter: Der Kollege Dr. Matthiesen und ich haben im Ausschuss danach gefragt, wie das in diesem Land eigentlich mit der Übergangspflege geregelt ist. Wir haben im Ausschuss gefragt, wie es eigentlich heute ist, wenn jemand unmittelbar nach einer Krankenhausbehandlung in ein Pflegeheim muss, und wie schwierig es für die Angehörigen ist, die von Pontius zu Pilatus laufen müssen und dann keinen Platz finden. Wir haben darum gebeten, seitens des Ministeriums zu klären, welche Verbesserungen möglich sind. Aber Sie warten noch nicht einmal die Antworten ab. Sie sind stur festgelegt und sagen: Das stimmen wir alles nieder. Was scheren uns die Interessen von Leuten, die eine Übergangspflege suchen? - So wird doch bei Ihnen letztendlich gearbeitet. Was haben Sie denn für ein Selbstverständnis vom Parlamentarismus? Wenn Sie der Auffassung sind, Sie müssten das mit Inhalt und Leben gestalten, dann müssten Sie doch auch in der Lage sein, einen Änderungsantrag vorzulegen. Sozialpolitisch sind Sie in diesem Land eine absolute Nullnummer geworden, meine Damen und Herren!
Lassen Sie mich noch eines sagen. Frau Ministerin, Sie haben auch bei der Einbringungsrede in der Debatte darauf hingewiesen, dass Sie die wissenschaftliche Begleitung abwarten. Ich kann Ihnen sagen: Die wissenschaftliche Begleitung für die Modellversuche nach § 65 SGB V liegt vor: Patientenberatungsstellen. Diese wissenschaftliche Beratungsbegleitung der Universität Bielefeld kommt zu dem Ergebnis:
Sowohl auf gesundheitspolitischer als auch auf wissenschaftlicher Ebene besteht heute Konsens darüber, dass die Patientenberatung und Nutzerinformation zu einem wichtigen Bestandteil des Gesundheitswesens geworden ist.
Dies alles liegt vor. Das Problem ist nur, dass es offensichtlich bisher weder bei der Landesregierung noch bei den Mehrheitsfraktionen angekommen ist. Die Patienten und Betroffenen in diesem Land leiden darunter, meine Damen und Herren.