Reden im Niedersächsischen Landtag
Hier finden Sie eine Auswahl meiner Reden im Niedersächsischen Landtag.
Rede während der Plenarsitzung vom 15.05.2019 im Niedersächsischen Landtag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Janssen-Kucz, lieber Kollege Försterling! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und von den Grünen! Ich wollte eines deutlich machen. Ich glaube, es bringt überhaupt nichts, wenn wir uns hier wechselseitig Untätigkeit und Verschulden vorwerfen. Sie beide wissen übrigens, dass das nicht stimmt. Solange wie ich denken kann, hat sich eigentlich jede Regierungskonstellation bemüht, die Situation in der Pflege, soweit das landesmäßig überhaupt geht, zu verbessern. Das gilt für die jetzige Regierung, genauso wie es für die andere Regierung gegolten hat, meine Damen und Herren.
Richtig ist, dass die Ausgangslage der gegenwärtigen Debatte die aktuelle Situation gewesen ist, dass sich mal wieder die Verhandlungen zwischen den Leistungserbringern und den Pflegekassen hingezogen haben. Insbesondere - und auch das nicht zum ersten Mal - war der entscheidende Knackpunkt die Vergütung in den Anfahrtszeiten, also die sogenannte Wegepauschale, die vor allem im ländlichen Bereich absolut nicht kostendeckend ist; da gibt es zwischen uns überhaupt keinen Dissens.
Im Übrigen: Nur in diesem Bereich, und zwar ausschließlich in diesem Bereich, haben die Pflegekassen überhaupt einen Ermessensspielraum, nämlich dann, wenn es einen sachlich nachweisbaren Grund für eine höhere Vergütung gibt. Das ergibt sich aus § 89 SGB XI, meine Damen und Herren. Dieser Nachweis wird durch die Pflegedienste übrigens regelmäßig erbracht und ist leicht nachprüfbar.
Ich finde, die Situation in der Pflege ist wirklich so ernst, dass diese wiederkehrenden Spielereien im Rahmen der Budgetverhandlungen, die auf dem Rücken von wehrlosen Pflegebedürftigen durchgeführt werden, auch für mich und für meine Fraktion völlig inakzeptabel sind.
Ich erwarte - daraus mache ich auch keinen Hehl - bei diesem Thema von den Pflegekassen zukünftig eine deutlich höhere Sensibilität.
Meine Damen und Herren, ich bin im Übrigen wirklich froh und dankbar - auch das ist nicht dahingeredet -, dass dieser Konflikt ohne rechtliche Möglichkeiten, aber durch das persönliche Eingreifen und die Vermittlung von Carola Reimann recht schnell gelöst werden konnte. Dafür, Frau Ministerin, gebührt Ihnen wirklich einmal unser Dank an dieser Stelle.
Es ist bekannt: Ich gehöre zu denen, die überhaupt nicht abgeneigt sind, aufsichtsrechtliche Mittel einzusetzen. Das habe ich in den vergangenen Jahren gefordert, das fordere ich auch zukünftig, und das finden Sie auch in unserem Entschließungsantrag.
Aber die Wahrheit ist auch: In der aktuellen Auseinandersetzung gab es keinerlei Raum für aufsichtsrechtliche Mittel.
Erstens. Wir kennen die Zahlen zur Genüge. Wir haben keinen Erkenntnismangel. Darin waren wir uns bisher auch alle einig.
Zweitens. Die aktuellen Basiszahlen finden wir regelmäßig fortgeschrieben im jeweils gültigen Landespflegebericht.
Drittens. Die so oft - auch in diesem Parlament - gescholtene Pflegekammer hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen einen Bestandsbericht über die Situation der Pflege - und zwar fein regional gegliedert - vorgelegt. Ich sage Ihnen: Aktueller geht es überhaupt nicht. Die Dramatik, die wir in einigen Bereichen bei der Versorgung haben, wird daraus deutlich.
Viertens. Es ist auch nicht, wie FDP und Grüne in ihrem Entschließungsantrag schreiben, unser Problem, dass die Pflegekassen die tariflichen Vergütungen nicht berücksichtigt haben. Selbst die Anbieterseite sagt, dass sich an dieser Stelle die Pflegekassen absolut rechtskonform verhalten. Insofern, meine Damen und Herren, geht Ihr Antrag an dieser Stelle ins Leere.
Das Problem liegt ganz woanders. Wenn sich nämlich Pflegekassen und Pflegeanbieter nicht einigen, dann rufen sie die Schiedsstelle an. Im Schiedsverfahren bildet die Schiedsstelle einen sogenannten externen Betriebsvergleich. Das heißt, sie bildet einen Mittel- bzw. Durchschnittswert aller anfallenden Kosten einzelner Anbieter. Je mehr Pflegeanbieter keinen Tariflohn zahlen, umso niedriger wird der Mittelwert und umso dramatischer sind die Auswirkungen für alle tarifgebundenen Pflegedienste. Diese können nämlich ihre Löhne nicht mehr refinanzieren und gehen pleite oder werden zu untertariflicher Zahlung gezwungen, siehe sogenannte Notlagenverträge.
Meine Damen und Herren, untertarifliche Bezahlung wird dadurch zum Wettbewerbsvorteil, fördert die Gewinnmaximierung und beschleunigt gleichzeitig den Fachkräftemangel. - Herr Försterling, das ist der wirkliche Skandal in der Pflege!
Ich sage Ihnen auch: Es ist eben nicht so, wie Sie hier dargestellt haben, dass niemand etwas gegen tarifliche Entlohnung habe. Nein, es ist genau umgekehrt. 80 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege bekommen keine tarifliche Entlohnung, weil dort eine ganze Gruppe von Anbietern null Interesse an tariflicher Entlohnung hat, meine Damen und Herren.
Insofern hat der Bundesgesetzgeber auch versucht, dies zu ändern, indem er daraus rechtliche Konsequenzen gezogen hat und die Pflegekassen zwingt, tarifliche Bezahlung anzuerkennen. Das tun die auch. Wenn dann aber die Schiedsstelle wieder einen Mittelwert bildet, dann ist die tarifliche Bezahlung wieder außen vor. Dagegen könnten kleine Pflegeanbieter klagen. De jure können sie es. De facto können sie es nicht, weil sie dann nämlich abwarten müssen, wie solch ein Verfahren nach Jahren gegebenenfalls höchstrichterlich ausgeht, und bis dahin keinerlei Verbesserungen ihrer Pflegesätze bekommen würden, d. h. sie wären innerhalb kürzester Zeit pleite.
Deshalb reden wir hier eigentlich über ganz andere Fragen, über sehr grundsätzliche Fragen, die einer schnellen Lösung bedürfen:
Erstens. Wir müssen kleinen Trägern die Möglichkeit geben, juristisch durchsetzen zu können, dass sie andere Pflegesätze bekommen. Sie müssen dafür stellvertretend ein Verbandsklagerecht eingeräumt bekommen, weil sie das ansonsten selber gar nicht leisten könnten.
Zweitens. Wir müssen den kleinen Anbietern die Möglichkeit geben - wir wissen alle, über welche Größenordnungen wir da reden -, dass ihre Dachverbände für sie stellvertretend Pflegesatzvereinbarungen führen können.
Drittens. Ja, in der Tat, wir brauchen dringend einen Tarifvertrag Soziales. Diese Forderung ist nur deshalb nicht falsch, weil sie 2015 gescheitert ist. Sie ist heute so akut wie damals. Sie ist heute noch akuter als damals, Frau Kollegin Janssen-Kucz.
Insofern bitten wir die Landesregierung erneut, hier moderierend tätig zu werden.
Wenn diese regelmäßig stöhnende Gruppe in der Pflege mal endlich ihre interessengeleiteten Einzelinteressen zur Seite stellen würde und sich auch darüber im Klaren wäre, dass die tarifliche Entlohnung - das Grundelement für gute Arbeit sozusagen - einer der wichtigsten Punkte ist, um Fachkräfte rekrutieren zu können, dann würde sie auch aufhören, sich dieser tariflichen Zahlung ständig zu verweigern, meine Damen und Herren.
Deshalb glaube ich, dass dieses wichtige Instrument dringend wieder angefasst werden muss.
Darüber hinaus ist es doch nur folgerichtig, wenn die Landesregierung sagt - und wir das unterstützen -: Wer zukünftig Landesmittel als Investitionshilfe für Pflegeeinrichtungen haben will, der bekommt sie nur noch dann, wenn er tariflich bezahlt. Sonst würden wir ja noch fördern, dass die Einrichtungen untertariflich bezahlen, meine Damen und Herren.
Also: Hauptursache sind nicht die Landesregierung und eine angeblich fehlende Rechtsaufsicht, die sie gar nicht durchführen kann.
Rede während der Plenarsitzung vom 14.05.2019 im Niedersächsischen Landtag
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Gesetze, die man möglichst nicht anfasst, es sei denn, man wird dazu gezwungen. Das Ladenöffnungsgesetz gehört eindeutig in diese Kategorie - völlig egal, wer hier die Landesregierung stellt. Man weiß schon vorher, wie die widerstreitenden Fronten sich unversöhnlich gegenüberstehen. Die Spannweite reicht jedes Mal von „überhaupt nicht öffnen“ bis „rund um die Uhr, 24 Stunden, jeden Tag, einschließlich des Sonntags“.
Das aktuelle Ladenöffnungsgesetz stammt aus dem Jahre 2007. Es wurde 2015 erfolgreich beklagt, sodass eine Neufassung in Niedersachsen notwendig wurde.
Die gute Nachricht ist: Wir werden dieses neue Gesetz heute verabschieden.
Die schlechte Nachricht ist: Auch dieses Gesetz wird mit Sicherheit wieder vor Gerichten landen.
Meine Damen und Herren, der Sonntagsschutz genießt hohen Verfassungsrang. Es geht vor allem um die zu schützenden Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Es geht auch um ungleiche Rahmenbedingungen zwischen großen Handelsketten, Discountern und Onlinehandel auf der einen Seite und kleinen Einzelhändlern auf der anderen Seite - inhabergeführten Geschäften, wo im Wesentlichen mit Minijobs gearbeitet wird und wo Leute mit ihrem Einkommen überhaupt nicht auskommen können. Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt im Jahre 2009 strenge Regeln für die punktuelle Aufhebung des Schutzes von Sonn- und Feiertagen festgelegt und dabei rein wirtschaftliches Interesse ausgeschlossen. Nun sage ich Ihnen einmal ganz ehrlich: Ich kann mir keine Sonntagsöffnung vorstellen, bei der wirtschaftliches Interesse nicht im Vordergrund stünde.
Diesen Mangel an Vorstellungskraft haben zunehmend auch Verwaltungsgerichte. In Nordrhein-Westfalen hat es ein sehr gelobtes neues Gesetz gegeben. Das hat aber nicht lange gehalten, weil es aktuell schon wieder vor den Verwaltungsgerichten zerrissen wird.
Unser ausdrückliches Ziel war, die Sonntagsöffnungszeiten nicht auszuweiten und dabei alle Kommunen gleich zu behandeln. Und ich finde, das Erreichte kann sich wirklich sehen lassen. Ich will es wiederholen:
In Niedersachsen darf an keinem einzigen Feiertag geöffnet werden, auch nicht am 3. Oktober - Kollege Jasper hat bereits darauf hingewiesen.
Außerdem werden wir zukünftig noch den Palmsonntag schützen und den 27. Dezember, wenn er auf einen Sonntag fällt. Der 27. Dezember war übrigens der Gegenstand des Klageverfahrens, das ver.di erfolgreich durchgesetzt hat.
Genau wie an Heiligabend wird zukünftig auch an Silvester nur noch bis 14 Uhr geöffnet sein.
Gärtnereien und Blumenläden, lieber Jens Nacke, dürfen ein festgelegtes Ergänzungsangebot mitverkaufen. Der berühmte Blumentopf einschließlich der entsprechenden Topfpflanze darf zukünftig mit nach Hause genommen werden; der dazu erworbene Spaten bleibt im Laden und wird am Montag abgeholt - insofern eine deutliche Verbesserung.
Bäckereien und Konditoreien dürfen sonntags fünf anstelle von drei Stunden öffnen.
An maximal vier nicht unter Schutz stehenden Sonntag kann die Gemeinde je Ortsbereich eine Öffnung zulassen. Ich sage Ihnen noch einmal, gerade an die Grünen gewandt: Es sind nicht sechs, es sind vier pro Gemeinde. Sechs sind es ausschließlich in den Städten, die in Bezirke eingeteilt sind. Das ist sozusagen eine Lex Hannover und Braunschweig. Insofern sollten die Grünen das vielleicht einfach einmal so akzeptieren, wie es wirklich ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, als wir mit der Beratung im Ausschuss anfingen - das meine ich jetzt nicht ironisch oder zynisch -, wurde uns ein Gesetzentwurf mit dieser Problematik vorgelegt: vier einschließlich Stadtbezirke.
Lieber Kollege Siebels, uns sind dazu Schaubilder zur Verfügung gestellt worden.
Er hat nämlich gesagt, ich müsse ihm die noch einmal zeigen. Das hole ich hiermit nach.
Diese drei Schaubilder waren hochkomplex. Sie waren auch alle richtig. Aber sie waren, ehrlich gesagt, auch von studierten Mathematikern kaum zu durchdringen.
Insofern haben wir uns überlegt, ob es anders geht. Ich finde, wir sind zu einer ganz guten Lösung gekommen, indem wir gesagt haben: Den Kommunen stehen sechs Sonntage zur Verfügung, und sie können es so steuern, dass in jedem Stadtbereich maximal vier Öffnungen infrage kommen.
Es gibt dazu eine ergänzende Möglichkeit. Es wird nämlich mit diesem Gesetz zum ersten Mal sozusagen eine Jahresplanung vorgeschlagen. Dann macht man - sinnvollerweise zu Beginn des Jahres - eine Zusammenkunft mit allen Interessenten, guckt, wie das aussieht, und dann verteilt man diese vier Sonntage im Rahmen der sechs Sonntage auf das ganze Stadtgebiet.
Ich finde, das ist eine ganz gute Regelung. Wir werden sehen, ob sie sich durchsetzt.
Im Übrigen - auch darauf hat Burkhard Jasper hingewiesen - wird den Beteiligten erstmals das Recht eingeräumt, im Rahmen dieses Verfahrens vor der Genehmigung angehört zu werden, mit Verweis auf § 28 VwVfG.
Darüber hinaus gibt es noch eine einmalige Öffnungsmöglichkeit aus einem besonderen Anlass, übrigens auch in Notsituationen. Das muss man auch deutlich sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fand auch, dass dieses Gesetz sehr intensiv - übrigens auch mit einer sehr umfassenden Anhörung - bearbeitet worden ist. Es war nicht unkompliziert. Insbesondere bei Herrn Hederich vom GBD und auch bei mir gab es in den Beratungsgängen wiederholt Déjà-vus. Wir hatten nämlich auch die letzten Gesetzentwürfe schon gemeinsam bearbeiten dürfen, auf den jeweils anderen Seiten. Ich biete Ihnen ausdrücklich an: Falls so ein Gesetz wieder einmal beraten werden und ich nicht mehr dem Landtag angehören sollte - was aber keine Feststellung ist; das sage ich gleich dazu -, kann ich für die unterschiedlichen Seiten gleich die jeweiligen Stellungnahmen abgeben. Ich hätte auch diesmal für alle Seiten getroffen.
Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich nicht versäumen, mich auch bei Herrn Hederich ausdrücklich für die hervorragende Begleitung zu bedanken. Wir wünschen ihm für seinen weiteren Lebensweg - er ist jetzt tatsächlich in Pension - alles erdenklich Gute!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Thema haben wir nicht abgeräumt - das will ich der Ehrlichkeit halber sagen -, nämlich die vollautomatischen Autowaschanlagen, welche an der hessisch-niedersächsischen Landesgrenze seit Jahren die Gemüter erhitzen. Der Hintergrund ist, dass es auf hessischer Seite einen Waschanlagenbetreiber gibt, der in Hann. Münden regelmäßig damit wirbt, dass er sonntags geöffnet hat.
Dieses Dauerärgernis wollten wir lösen. Herr Hederich ist höchstpersönlich zu einem Ortstermin in diese Gegend gefahren. Er hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch eine Lösung gefunden. Aber auf alle Fälle hat er festgestellt, dass dieser Sachverhalt nicht in diesem Gesetz, sondern nur im niedersächsischen Feiertagsgesetz geregelt werden kann. - Und damit sind wir raus!
Ich wünsche dem Innenminister und den betroffenen Fachministern bei der zukünftigen Umsetzung dieses Themas viel Erfolg. Ich hoffe, Sie sind erfolgreicher, als wir es in all den Jahren gewesen sind.
Meine Damen und Herren, ich finde, wir haben uns sehr ernsthaft und auch sehr erfolgreich mit diesem Thema beschäftigt, und ich finde, wir haben ein gutes Werk vollbracht. Obwohl: Wenn sogar die FDP zustimmt, komme ich schon wieder ins Zweifeln. Aber offensichtlich sind wir wirklich so gut, dass es heute hier für eine breite Basis langt.
Vielen Dank für die gute Zusammenarbeit. Schauen wir mal, was die Gerichte mit dem Gesetz machen.
Rede während der Plenarsitzung vom 23.01.2019 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns offenkundig alle darin einig: Der Start der niedersächsischen Pflegekammer war äußerst unglücklich. Das gilt für die missglückte Beitragsordnung, für die Aufmachung des Beitragsbescheides und ohne Frage für den Zeitpunkt der Zustellung. Die einen waren darüber entsetzt, die anderen haben unverhohlen ihre Freude über diesen Fehlstart zum Ausdruck gebracht.
Die Kammerpräsidentin hat sich mehrfach öffentlich entschuldigt. Sie hat die Fehler eingestanden, und sie hat innerhalb einer Woche die Korrektur einer Beitragsordnung durchgesetzt. Das ist ein gewaltiger Kraftakt gewesen. Er war absolut notwendig, aber selbstverständlich war das nicht. Ich finde es ausgesprochen gut, dass das so gemacht worden ist, meine Damen und Herren.
Es wurde allerdings für uns alle relativ schnell klar: Die Beitragsordnung diente in Wirklichkeit nur als Initialzündung für eine erneute, gut vorbereitete Kampagne gegen die Pflegekammer. Das ist übrigens kein Wunder; denn diese Beitragsordnung war bereits seit Juni 2018 bekannt. Man wusste, dass irgendwann der Beitragsbescheid kommen würde. Man kannte den Zeitplan. Insofern brauchte man nur auf den Knopf zu drücken. Dann ist das abgelaufen, was wir alle kennen.
Wenn man etwas tiefer im Netz recherchiert, dann findet man auch hinreichend Handlungsanweisungen, wie diese Kampagne ablaufen sollte. Vor allem die Accounts der SPD-Abgeordneten sollten dabei geflutet werden. Ich persönlich hatte, was meinen Account betraf, das Privileg, namentlich erwähnt zu werden. Die Betitelung „Drecksau“ war dabei noch einer der kleineren Kraftausdrücke. Meine Damen und Herren, ich weiß, dass es einigen Kolleginnen und Kollegen auch so gegangen ist, ganz zu schweigen von den Beschäftigten bei der Pflegekammer und der Präsidentin selbst. Ich sage Ihnen: In einer demokratischen Gesellschaft dürfen wir glücklicherweise unterschiedliche Positionen öffentlich austragen. Aber Unterstellungen, Beleidigungen, persönliche Diffamierungen, insbesondere anonym aus dem Dickicht des Internets, und das auch noch mit Fake-Accounts, sind für mich keine Mittel der demokratischen Auseinandersetzung.
Ich finde übrigens: Diejenigen, die das tun, disqualifizieren sich damit selbst.
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Der Wunsch nach Einrichtung der Pflegekammer ist keine Erfindung der Politik. Seit mehr als 30 Jahren fordern Pflegekräfte die Einrichtung einer derartigen berufsständischen Vertretung. Sie haben es satt, fremdbestimmt zu werden. Sie haben es satt, sich entmündigen lassen zu müssen. Das war der Grund. Das ist die Ursache. Das war richtig, das ist richtig. Und ich sage Ihnen: Die Heftigkeit der aktuellen Debatte macht für mich erneut deutlich, dass die Pflege endlich eine eigene Stimme braucht.
Es ist hier schon angesprochen worden: Kein Mensch in diesem Parlament käme vermutlich auf die Idee, die Ärztekammer, die Apothekerkammer oder die Psychotherapeutenkammer auflösen zu wollen. Sie alle haben sich etabliert.
Herr Dr. Birkner hat auf meine Zwischenfrage darauf hingewiesen, dass das etwas ganz anderes sei, weil das Freiberufler und Selbstständige seien. Meine Damen und Herren, fast alle Ärzte in unseren Krankenhäusern und medizinischen Versorgungszentren sind Angestellte, Unselbständige, lohnabhängig Beschäftigte. Sie sind trotzdem Pflichtmitglied der Ärztekammer.
Mehr als 50 % der Mitglieder der Ärztekammer sind keine Selbstständigen, sondern Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es gibt an dieser Stelle überhaupt keinen Unterschied zu den angestellten Krankenschwestern oder den angestellten Altenpflegerinnen. Und, meine Damen und Herren, auch Ärzte ärgern sich hin und wieder über ihre Kammer.
Aber im Kern wissen sie, dass sie auf eine starke Kammer zählen können, wenn es um berufsständische Fragen oder auch um die Auseinandersetzung mit der Politik geht.
Nur für die Pflegekräfte, die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen, wird seit Jahren die Tür verschlossen gehalten. Sie haben keine standespolitische Vertretung, weder gegenüber anderen Berufsgruppen noch gegenüber der Politik. Genau diesem Grundproblem begegnet die Einführung von Pflegekammern. Das war längst überfällig, meine Damen und Herren.
Wir haben hier in Niedersachsen in den vergangenen 15 Jahren - das ist hier angedeutet worden - heftig über die Kammer diskutiert. Ich frage mich zwischenzeitlich eigentlich, warum. Warum in dieser Heftigkeit gerade in Niedersachsen, wenn man sich die bundespolitische Landschaft ansieht?
In Rheinland-Pfalz ist die Bildung der Pflegekammer als erste solche Kammer in Deutschland einstimmig vom Landtag beschlossen worden. Dort gibt es gegenwärtig eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Julia Klöckner hat übrigens das Geburtsrecht an dieser Kammer immer für die CDU reklamiert.
In Schleswig-Holstein gibt es gegenwärtig eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Zweite Kammer!
In Niedersachsen kennen Sie das Ergebnis einer Befragung, durchgeführt in der 16. Wahlperiode von der Regierung von CDU und FDP - Umsetzung der Ergebnisse durch SPD und Grüne.
In Baden-Württemberg regieren Grüne und CDU. Es gibt ein laufendes Gesetzgebungsverfahren.
Aktuell hat es eine Umfrage in Nordrhein-Westfalen gegeben. Dort gibt es eine Landesregierung aus CDU und FDP. Aktuell haben sich dort die Befragten mit 86 % - so viele, wie noch nie - für die Einrichtung einer Interessenvertretung ausgesprochen. 59 % der Befragten haben sich explizit für eine Pflegekammer ausgesprochen. Der dortige Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann erklärte am 9. Januar dieses Jahres: „Ich möchte die Kammer zu einer starken Stimme für die Pflege machen. … Nur eine starke Pflegekammer kann auf Augenhöhe mit den anderen Akteuren im Gesundheitswesen agieren.“
Recht hat er, meine Damen und Herren!
Angesichts dieser Entscheidung in Nordrhein- Westfalen hat sich Gesundheitsminister Spahn zeitgleich für die Einrichtung einer Bundespflegekammer ausgesprochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts dieser parteipolitisch wahrlich bunten Landschaft bei der Errichtung von Pflegekammern fände ich es gut, wenn wir auch in Niedersachsen bei dieser Debatte mal ein bisschen abrüsten und das Thema endlich versachlichen.
Ich finde, Kampfbegriffe wie „Zwangsmitgliedschaft“ und „Zwangsbeitrag“ verbessern weder die Situation der Pflegekräfte, noch sind sie rechtlich zutreffend. Das Wesen einer berufsständischen Kammer beinhaltet die Pflichtmitgliedschaft und damit auch den Pflichtbeitrag.
Die Alternative ist eine freiwillige Mitgliedschaft, analog zum bayerischen Pflegering, wie sie die AfD fordert. Wer sich mit dem Pflegering beschäftigt, stellt relativ schnell fest: Der bayerische Pflegering ist der verlängerte Arm der dortigen Staatsregierung. Er wird von ihr finanziert. Sie hat die Rechts- und Fachaufsicht über ihn. Und wenn ihr das nicht mehr gefällt, dann wird die Haushaltskasse dort eben etwas knapper werden.
Von knapp 180.000 Pflegekräften in Bayern ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal 1 % freiwilliges Mitglied in diesem Gremium geworden. Eine derartige Einrichtung hat in Wirklichkeit keinerlei Legitimation. Sie ist ein Feigenblatt für die Initiatoren und keine Alternative zu einer Kammer.
Für mich stellt sich seit Tagen die Frage: Wer hat eigentlich etwas davon, wenn die Pflegekammer in Niedersachsen oder in anderen Bereichen zerstört wird? Das ist für mich wirklich die zentrale Frage!
Die in Niedersachsen erneut reaktivierte Ablehnungsfront gegen die Kammer umfasst die gleichen Gruppen und Personen wie 2016. Und es mal deutlich zu sagen: Im Vordergrund stehen ureigene Interessen derjenigen, die eine Kammer ablehnen. Sie wollen sie nicht auf Augenhöhe haben. Dass die Pflegekammer mehr als 20 000 unvollständige und fehlerhafte Personalmeldungen von den Arbeitgebern bekommen hat, ist kein Zufall.
Viele von uns gehen in Pflegeeinrichtungen. Ich habe dort wiederholt gehört: Es gibt Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ihre Kräfte aufgefordert haben, alles, was von der Kammer kommt, zu ignorieren und in den Papierkorb zu schmeißen, damit die Kammer nicht registrieren kann und damit die Kammer ihre Arbeit nicht aufnehmen kann.
Wir erleben also seit Jahren eine absolut unredliche und unehrliche Debatte, meine Damen und Herren. Alle Akteure beklagen den massiven Fachkräftemangel, die schlechten Rahmenbedingungen und die teilweise schlechte Bezahlung. Wenn es jedoch um die Verbesserung dieser Instrumente geht - das will ich nur beispielhaft sagen -, sieht es anders aus: In Niedersachsen wurde vor zwei Jahren in letzter Minute der greifbar nahe Tarifvertrag Soziales gekippt. Der verbesserte Personalschlüssel wurde lange boykottiert. Ja, sogar die Reduzierung von Dokumentationspflichten wurde blockiert. Und das war eben nicht die viel gescholtene Politik, sondern das waren Teile der Anbieterseite. Deshalb will dieser Teil der Anbieterseite mit allen Mitteln eine Kammer verhindern bzw. kippen. Meine Damen und Herren, wir sollten das endlich durchschauen und nicht zulassen!
Es gibt auch andere Arbeitgeber; auch das lesen Sie. Es gibt zwischenzeitlich nämlich Arbeitgeber, die den Kammerbeitrag für ihre Beschäftigten einfach übernehmen und damit für Betriebsfrieden sorgen. Gleichzeitig machen diese Arbeitgeber deutlich, dass sie es akzeptieren, dass die Pflege eine eigene Stimme bekommt, damit sie gute Fachkräfte im Haus haben. Auch das ist ein Weg, über den man beispielsweise beim bpa mal nachdenken könnte, meine Damen und Herren.
Wir von der SPD haben übrigens nie behauptet, dass die Kammer das Allheilmittel ist. Aber sie ist ein Baustein. Wer der Pflege in Deutschland also wirklich helfen will, der muss erstens die Finanzierung der Pflegeversicherung schnellstens ändern. Das Prinzip der Teilkaskoversicherung verhindert bessere Bezahlung. Jede Lohnerhöhung zahlen entweder die Pflegebedürftigen, deren Angehörige oder die Sozialhilfestellen; und das ist nicht förderlich. Zweitens. Wir haben dadurch keinen Wettbewerb um die beste Pflegequalität, sondern um das billigste Angebot. Drittens. Die Pflege braucht sowohl eine starke berufsständische Vertretung als auch starke Gewerkschaften in den Betrieben. Pflegekammern und Gewerkschaften sind kein Gegensatz, sondern sie wären ein kluges und notwendiges Bündnis, wenn es um die Verbesserung in der Pflege geht. Deshalb finde ich es gut, dass ver.di mehr als 50 % der Mitglieder in der niedersächsischen Kammerversammlung stellt. Meine Damen und Herren, Volker Meyer hat etwas zur Koalitionsvereinbarung gesagt. Das steht. So werden wir das machen. Gehen Sie mal davon aus: Auch an dieser Stelle werden Sie die Koalition nicht auseinanderdividieren.
Aber bis zum Abschluss der Evaluierung bitte ich dringend darum, dass die Kammer endlich mit ihrer Arbeit beginnen darf.
Rede während der Plenarsitzung vom 11.12.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke zunächst unserer Sozialministerin, Frau Dr. Reimann, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die wie immer gute Vorbereitung und Begleitung der Haushaltsberatungen im Fachausschuss. Ich bin mir sicher, dass dies dazu beigetragen hat, dass das mit Abstand die schnellsten bzw. kürzesten Beratungen im Sozialausschuss waren, jedenfalls so lange, wie ich zurückdenken kann. Und Sie wissen, ich kann lange zurückerinnern.
Der Sozialhaushalt ist mit knapp 5,1 Milliarden Euro wieder der zweitgrößte Einzeletat in Niedersachsen. Das macht deutlich: Sozialpolitik mit ihren Bereichen Gesundheit, Behindertenhilfe, Senioren, Familie, Jugend, Frauen sowie Migration und Integration bleibt einer der großen Schwerpunkte auch dieser Landesregierung.
Sehen wir uns die Änderungsanträge der Opposition von Grünen und FDP an! Es gibt in Wirklichkeit keine gravierenden Unterschiede.
Für die dritte Oppositionsfraktion gilt dies allerdings eindeutig nicht. Die AfD braucht nur an irgendeiner Stelle das Wort Ausländer oder Migranten zu lesen, und schon setzt bei ihr der pawlowsche Reflex ohne jeden Sinn und Verstand ein.
Da werden selbst Mittel für die Sprachförderung, für die Migrationsberatung oder für die Sinti und Roma auf null gesetzt. Ja, das wird sogar dann gemacht, wenn es sich um mehrjährige Förderprogramme handelt, bei denen viele Menschen beschäftigt sind, die man nicht über Nacht entlassen kann. Meine Damen und Herren, ich finde, das ist eine extrem brutale Form Ihrer sozialen Kälte.
In Wahrheit machen Sie etwas ganz anderes. Sie schüren bewusst Zwietracht und Neid in der Hoffnung, damit Stimmen fangen zu können. Sie können sicher sein, dieses Vorgehen wird Ihnen nicht gelingen. Es wird den erbitterten Widerstand aller demokratischen Gruppierungen und Fraktionen in diesem Haus finden. Wir als SPD werden ganz vorne dabei sein.
In Niedersachsen sind 10 % der Bevölkerung schwerbehindert. Für diesen Personenkreis stehen 2019 2 Milliarden Euro, also rund 40 % des gesamten Sozialetats, zur Verfügung - eine gewaltige Summe.
Mit der Schaffung des neuen Bundesteilhabegesetzes wird zukünftig die Förderung einzelner Betroffener in den Vordergrund gestellt. Die Umsetzung in Landesrecht werden wir 2019 zu regeln haben. Das ist mit Sicherheit kein einfaches Gesetzgebungsvorhaben.
Dieses Jahr wurde die Barrierefreiheit für das Internet und mobile Geräte gesetzlich festgeschrieben. Darüber hinaus hat die Landesregierung gerade den zweiten Landesaktionsplan, den Landesaktionsplan 2019/2020, beschlossen. Der alte Aktionsplan, der erste, der für die Jahre 2017/2018 aufgestellt wurde, ist zu 93 % umgesetzt worden. Ich finde, das ist ein wirklich toller Erfolg, vor allen Dingen für die betroffenen Menschen, meine Damen und Herren.
In den vergangenen 15 Jahren hat uns kein sozialpolitisches Thema hier so häufig beschäftigt wie die Situation in der Pflege. Es ging und geht um höhere Wertschätzung, bessere Bezahlung und mehr Fachkräfte in der Pflege. Ich erinnere auf Landesebene u. a. an die Einführung der Schulgeldfreiheit und alternativer Wohnformen sowie die Stärkung ambulanter Pflege im ländlichen Raum.
2020 wird nun endlich die gemeinsame Pflegeausbildung für alle Pflegeberufe umgesetzt. Dem Sozialausschuss liegt bereits heute der Gesetzentwurf für eine Stiftung vor, um damit das Berufsbild Pflege weiter stärken zu können. Das alles hat sich in Niedersachsen wirklich sehr gelohnt. So konnte die Zahl der Auszubildenden in der Altenpflege von 5 600 im Jahre 2010 auf immerhin 7.300 Schülerinnen und Schüler im Jahr 2017 gesteigert werden. Das reicht immer noch nicht aus, aber eine Steigerung um 30 % ist schon, wie ich finde, eine ordentliche Hausnummer, und darauf kann die ansonsten so gescholtene Politik durchaus einmal selbstbewusst hinweisen.
Zur Sicherung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung haben wir gestern hier gemeinsam die Enquete auf den Weg gebracht. Die jetzige Regierungskoalition ist das erste Bündnis bundesweit, das den Mut aufbringt, dieses wichtige Thema einmal grundsätzlich und ganzheitlich anzugehen.
Darüber hinaus hat die Regierung Weil in der vergangenen Legislaturperiode damit begonnen, den gewaltigen Investitionsstau bei den niedersächsischen Krankenhäusern abzubauen. Diese Politik setzt die Große Koalition nun fort. Mit Strukturmitteln des Bundes, dem Sondervermögen, mehr Landesmitteln und der Bettenpauschale stehen ab 2019 pro Jahr ca. 360 Millionen Euro zur Verfügung, also bis zum Jahre 2022 insgesamt 1,45 Milliarden Euro für die Modernisierung und Neuausrichtung unserer Krankenhäuser. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das größte Krankenhausinvestitionsprogramm in der Geschichte Niedersachsens, und ich finde, darauf darf die Koalition aus SPD und CDU durchaus stolz sein.
Außerdem werden wir 2019 beginnen, Modelle zu fördern, um die Betreuung von an Demenz Erkrankten in Krankenhäusern zu verbessern. 70 000 an Demenz leidende Menschen werden jedes Jahr in unseren Krankenhäusern behandelt, aber nur 10 % davon wegen dieser Erkrankung und 90 % wegen einer anderen, akuten Erkrankung. Den damit verbundenen Betreuungsaufwand können die meisten Krankenhäuser nicht sicherstellen, weil z. B. Sitzwachen am Bett fehlen. Deshalb sollen hier Modelle im Interesse der Patienten neue Wege in Niedersachsen eröffnen.
Mit 1 Million Euro aus Landesmitteln verbessern wir zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung die hausärztliche Versorgung, und mit dem außerdem vorliegenden Antrag werden wir gleichzeitig auch den öffentlichen Gesundheitsdienst stützen und versuchen, ihn wieder zu stärken.
Mit dem Haushalt 2019 beginnen wir auch mit der Umsetzung des in der vergangenen Legislaturperiode neu erstellten Landespsychiatrieplans. Angesichts der deutlichen Zunahme von psychischen Erkrankungen wollen die Koalitionsfraktionen mit 420 000 Euro die Schaffung von Gemeindepsychiatrischen Zentren beginnen. Das hat die Kollegin Janssen-Kucz im Haushalt sicherlich überlesen. Gleichzeitig haben wir uns die Novellierung des niedersächsischen Psychiatriegesetzes vorgenommen. Das ist kein ganz kleines Gesetzesvorhaben, wie nicht nur Fachleute wissen.
Im Bereich des Maßregelvollzuges bitten wir die Landesregierung um die zeitnahe Vorlage eines Konzeptes zur Weiterentwicklung. Dabei soll auch geklärt werden, warum andere Bundesländer mit einer kürzeren Verweildauer vergleichbare Therapieerfolge erzielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben all diesen Verbesserungen in der Gesundheitsvorsorge ist die Einführung der Schulgeldfreiheit für die Ausbildung von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen ab dem Ausbildungsjahr 2019/2020 die nachhaltigste sozialpolitische Entscheidung von SPD und CDU.
Schülerinnen und Schüler dieser Heilberufe müssen je Fachrichtung während ihrer Ausbildung bis zu 25 000 Euro bezahlen. Gleichzeitig wächst aber der Bedarf an zusätzlichen Fachkräften. Während der Bundestag gerade für nächstes Jahr eine weitere Anhebung der Vergütungen für physiotherapeutische Leistungen beschlossen hat, wird Niedersachsen bis zu einer bundeseinheitlichen Regelung für die vorab genannten Berufsgruppen vollständig das Schulgeld übernehmen. Im Einstiegsjahr wird der Landeshaushalt zwar mit rund 1,5 Millionen Euro belastet, wenn allerdings alle Jahrgänge dann schulgeldfrei sind, macht das mindestens 15 Millionen Euro aus. Dies ist eine gewaltige finanzielle Herausforderung, aber ein identisches Vorgehen in der Altenpflege hat bewiesen, dass durch die Schulgeldfreiheit das größte Hindernis der Nachwuchsgewinnung beseitigt wurde. Mit diesem Kraftakt leistet die Koalition einen weiteren wichtigen Beitrag zur medizinischen Versorgung unserer Bevölkerung.
Mit dem Haushalt 2019 haben wir auch die direkten Zuschüsse an den Kinderschutzbund von 140 000 auf 265 000 Euro fast verdoppelt. Damit werden die zentrale Arbeit des Kinderschutzbundes als Träger des Kinderschutz-Zentrums in Hannover sowie des KinderHabenRechtePreises und Aktionen gegen Kinderarmut und für kommunale Beteiligungsrechte ausdrücklich hervorgehoben. Gleiches gilt übrigens auch für die Erhöhung der Mittel für die Familienverbände und die Familienbildungsarbeit.
Ein großes Engagement haben wir von zahlreichen Jugendverbänden und Tausenden von einzelnen Jugendlichen beim Kampf um mehr Jugendbildungsmittel erlebt. Die Koalition begrüßt den Einsatz und vor allen Dingen die Form des Protestes der Jugendlichen. Sie haben politisch engagiert ihre Interessen vertreten und dabei nicht auf Krawall, sondern auf Dialog gesetzt. Ich finde, so manche dumpfen populistischen Schreihälse in unserem Land könnten sich von dem Vorgehen der Jugendlichen eine Scheibe abschneiden, meine Damen und Herren.
Wir versuchen mit einer kräftigen Erhöhung der Jugendbildungsmittel um immerhin 700 000 Euro hier eine deutliche Verbesserung zu erreichen.
Kinder sind, wie wir wissen, ein Geschenk für die Zukunft unseres Landes, allerdings sind sie auch immer noch ein zentrales Armutsrisiko, vor allem für Alleinerziehende.
Die Schaffung kostenfreier Kinderbetreuung ist ohne Frage ein richtiges und wichtiges Instrument. Gleichzeitig sind die Kinderregelsätze aber nicht auskömmlich. Das sogenannte Bildungs- und Teilhabegesetz des Bundes hat hier nur unzureichend Hilfe gebracht und bedeutet darüber hinaus für betroffene Kinder häufig eine öffentliche Demütigung.
Unser Landtag hat schon in der letzten Legislaturperiode eine Kindergrundsicherung und bis dahin eine Anhebung der Kinderregelsätze gefordert. Ich begrüße daher ausdrücklich, dass es unserer Sozialministerin, Frau Reimann, vergangene Woche auf der Sozialministerkonferenz gelungen ist, erstmals in dieser Runde eine Mehrheit für eine Kindergrundsicherung zu bekommen. Wir hoffen, dass bald schnelle Ergebnisse der Länderarbeitsgruppe vorliegen, weil die Zeit an dieser Stelle wirklich drängt.
Langzeitarbeitslosigkeit, Armut und Wohnungslosigkeit hängen für Erwachsene häufig eng zusammen. Trotz Fachkräftemangels in nahezu allen Branchen gibt es nach wie vor eine verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb hatte Niedersachsen mit dem Doppelhaushalt 2017/2018 sowohl im Wirtschafts- als auch im Sozialministerium jeweils 10 Millionen Euro zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt. Zwischenzeitlich verstärkt auch die Bundesregierung ab 2019 deutlich ihre Anstrengungen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Damit es jedoch bis zum Greifen dieser Programme nicht zu Brüchen für die Betroffenen kommt, werden die Programme in Niedersachsen mit dem Haushalt 2019 fortgeführt. Frau Piel, allein im Sozialministerium stehen dafür noch fast 5 Millionen Euro zur Verfügung.
Gleichzeitig bitten wir die Landesregierung in dem heute vorliegenden Antrag, ein niederschwelliges Maßnahmenpaket für Wohnungslose zu entwickeln und dabei die besonderen Bedarfe wohnungsloser Frauen sowie junger Menschen unter 25 Jahren zu berücksichtigen.
Gleiches gilt für die Vorlage eines Konzeptes zur Prävention von Wohnungslosigkeit und die Errichtung von Hygienecentern und Krankenwohnungen.
Unsere Koalition ist gut ein Jahr im Amt. Viele haben daran gezweifelt, ob das zwischen SPD und CDU gut geht und vor allem wie lange diese Koalition hält. Ich stelle fest, wir haben in den ersten zwölf Monaten im Sozialbereich bereits ganz viele Punkte umgesetzt und angeschoben. Wenn wir in dieser Geschwindigkeit fortfahren, wären vorgezogene Neuwahlen wegen vorzeitiger Abarbeitung der Koalitionsvereinbarung jedenfalls eine ganz neue Variante.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine Angst: Allein die Schulgeldfreiheit für Physiotherapeuten und die Einrichtung der Enquetekommission zeigen: Wir haben auch gemeinsame Ideen außerhalb der Koalitionsvereinbarung.
Ich bedanke mich ausdrücklich bei Volker Meyer und seinem Arbeitskreis für die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich bedanke mich aber auch bei den anderen Kollegen im Sozialausschuss für die teilweise ebenfalls sehr gute Zusammenarbeit.
Wir kreuzen hier zwar auch hin und wieder die Klingen, gegebenenfalls auch hart in der Sache, aber im Grundkonsens sind wir uns sehr häufig einig - vielleicht kein schlechtes Beispiel für eine vernünftige Streitkultur und unser Beitrag gegen Politikverdrossenheit!
In diesem Sinne hoffe ich auf eine Fortsetzung dieses Arbeitsstils im neuen Jahr und wünsche uns allen zunächst ein gesundes und friedliches Weihnachtsfest.
Vielen Dank.
Rede während der Plenarsitzung vom 10.12.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute einzusetzende Enquetekommission wird sich mit der Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen beschäftigen. Sie soll dabei die gegenwärtige Situation der Notfallversorgung und zukünftige Möglichkeiten durch die Digitalisierung mit einbeziehen. Sie soll ferner auch prüfen, ob und wie die Erreichbarkeit unserer medizinischen Einrichtungen, vor allem in der Fläche, gegeben bzw. wie die Erreichbarkeit über den ÖPNV wiederhergestellt werden kann.
Eine vergleichbare Enquete mit diesem Inhalt hat es bisher in keinem anderen Bundesland gegeben, und wohl deshalb hat die Ankündigung dieser Enquete zu einem breiten öffentlichen Interesse geführt. Viele Institutionen und auch Einzelpersonen haben ihre Bereitschaft zur Mitarbeit angeboten. Das ist schon einmal ein gutes Zeichen, aber es zeigt auch die sehr große Erwartungshaltung, die in diese Enquete gesetzt wird. Zugleich macht dies deutlich, dass die von uns aufgeworfenen Fragen nicht nur den politischen Akteuren und betroffenen Berufsgruppen auf den Nägeln brennen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes zwischenzeitlich in jedem Dorf angekommen sind.
Die Koalitionsfraktionen schlagen mit der heutigen Beschlussfassung vor, die Zahl der ständigen Enquetemitglieder noch einmal um zwei externe Vertreter, also von 10 auf 12 Personen, aufzustocken und damit die Gesamtzahl der Mitglieder von 25 auf 27 Personen zu erweitern. Wir brauchen in diesem Gremium die Spitzen der wichtigsten Berufsgruppen, der Kostenträger, der kommunalen Spitzenverbände und der Krankenhäuser. Da, meine Damen und Herren, sind acht Personen schnell erreicht.
Es geht aber bei der Enquete nicht um eine Ersatzveranstaltung für die üblichen Budgetverhandlungen, diesmal eben mit politischer Begleitung, sondern es geht vielmehr um zukünftige Lösungen außerhalb dieses Tagesgeschäftes der Akteure. Daher hoffen wir sehr, auch vier unabhängige Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler als ständige Mitglieder gewinnen zu können, die sich insbesondere mit landespolitischen Möglichkeiten und sektorenübergreifenden Versorgungsmodellen beschäftigen.
Wer sich mit der Vielfältigkeit, Komplexität und Verästelung unseres Gesundheitswesens beschäftigt, dem könnten viele Tausend Fragen einfallen. Man kann sich damit übrigens jahrelang beschäftigen. Genau das wollen aber die Vertreter der Großen Koalition nicht.
Wir haben daher selbst unseren ursprünglich mal doppelt so langen Fragenkatalog komprimiert. Wir haben bewusst z. B. die nichtärztlichen Heilberufe und das breite Feld der Pflege nicht mit einem eigenen Fragenkomplex versehen. Aber ungeachtet dessen spielt natürlich die mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen - die Pflegekräfte - bei denkbaren Lösungen eine wichtige Rolle. Deshalb brauchen wir sie am Verhandlungstisch. Wir brauchen sie, wenn wir darüber reden, wie es im Krankenhaus weitergeht, und wir brauchen sie, wenn es darum geht, wie wir im ambulanten Bereich bestimmte Leistungen delegieren können.
Mit keinem sozialpolitischen Thema haben wir uns in den letzten Jahren so häufig beschäftigt wie mit Problemen der Pflege. Ein Bündel der Maßnahmen hat die Situation zwischenzeitlich verbessert. Der Schwerpunkt der Enquete ist allerdings diesmal wirklich ein anderer: Was passiert mit kleinen Krankenhäusern, deren Existenz gefährdet ist? Wie bekommen wir ausreichend Ärzte in unsere kleinen Gemeinden? Wie sichern wir zeit- und wohnortnah die medizinische Versorgung? Wie stellen wir die Erstversorgung bei Notfällen sicher?
Die dazu notwendigen Fragen im Zusammenhang mit der Pflege sind übrigens in unserem Katalog unter den Punkten I. Nr. 6 und II. Nr. 8 enthalten. Insofern - das will ich deutlich sagen - verstehe ich den Änderungsantrag der Kolleginnen und Kollegen von den Grünen wirklich nicht.
(Beifall bei der SPD und bei der CDU)
Für mich ist das ein arbeitender Prozess, der sich wirklich entwickeln muss. Andere Fragen werden mit Sicherheit hinzukommen. Wir wollen in dieser Enquete ganzheitlich denken, vor allem wollen wir die Spielräume des Landes ausreizen und neue Lösungsmöglichkeiten und Ansätze erarbeiten. Das wird, denke ich, schwer genug werden. Die Sicherung der medizinischen Versorgung ist ein Kernelement der staatlichen Daseinsvorsorge. Deshalb lohnt sich meines Erachtens diese spannende Aufgabe, aber es soll nicht nur eine spannende Aufgabe bleiben, es müssen konkrete Lösungen erarbeitet werden.
Ich hoffe, dass wir gemeinsam Erfolg haben werden. Es ist ein wichtiger Punkt für die zukünftige Versorgung unserer Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Bereichen, wo die Schwierigkeiten noch um ein Vielfaches größer sind als in den Ballungsgebieten. Insofern freue ich mich auf die Arbeit der Enquete und danke Ihnen für die Unterstützung.
Rede während der Plenarsitzung vom 15.11.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die von uns beantragte Enquetekommission soll sich mit der Sicherstellung der ambulanten und stationären Versorgung beschäftigen. Dabei sollen auch die gegenwärtige Situation der Notfallversorgung und zukünftige Möglichkeiten durch die Digitalisierung mit einbezogen werden. Außerdem soll geprüft werden, ob und wie die Erreichbarkeit unserer medizinischen Einrichtungen vor allem in der Fläche gegeben ist. Es nützt nämlich relativ wenig - falls wir genügend Ärzte hätten -, wenn diese nicht mit dem ÖPNV erreichbar sind.
Als wir Sozialpolitiker von CDU und FDP über die Sinnhaftigkeit einer solchen Enquetekommission geredet haben, kam häufig die Frage: Was wollt ihr denn damit? Wir haben doch kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. - Das stimmt. Aber die Frage ist: Haben wir auch die richtigen Lösungen? - Offensichtlich nicht; denn die Probleme werden dringender und größer.
Das lässt sich übrigens auch zunehmend an den Aktivitäten unseres Landtages ablesen. Gab es in der 16. Wahlperiode insgesamt 35 parlamentarische Initiativen, die sich mit der ärztlichen Versorgung oder Krankenhäusern beschäftigten, waren es in der vergangenen Legislaturperiode schon doppelt so viele, und aktuell wäre es hochgerechnet bis zum Ende der Legislaturperiode nahezu eine Verdreifachung. Die Hälfte davon beschäftigt sich übrigens mit der Situation einzelner Krankenhäuser vor Ort.
Wir alle, egal ob Opposition oder Regierungsfraktionen, werden mehr oder weniger regelmäßig von den Bürgerinnen und Bürgern gefragt: Wie geht es weiter, wenn der alte Hausarzt demnächst in Rente geht? Warum gibt es bei uns im Ort keinen HNO-, Augen-, Frauen- oder Kinderarzt mehr? Warum wurde die Geburtshilfestation geschlossen? Warum werden selbst kleine Operationen in unserem Krankenhaus nicht mehr durchgeführt? - Ich prophezeie Ihnen: Demnächst kommen bei dieser Fragestellung die fehlenden Praxen von Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Logopäden hinzu.
Wir können diese Fragen zwar in der Regel beantworten, aber beruhigen können wir die Menschen nicht. Eine Enquetekommission ist eine vom Parlament eingesetzte interfraktionelle Arbeitsgruppe, die umfangreiche und bedeutsame Sachkomplexe lösen soll, in denen unterschiedliche rechtliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte abgewogen werden müssen - so die Begriffsbestimmung.
Der Niedersächsische Landtag ist mit dem Instrument von Enquetekommissionen in seiner bisherigen Geschichte ausgesprochen sparsam umgegangen. In dieser Parlamentsgeschichte gab es ganze vier Enquetekommissionen. Wo, meine Damen und Herren, wäre es sinnvoller, wenn nicht beim Thema der Gesundheitsvorsorge mit allen seinen Facetten, unterschiedlichen Zuständigkeiten und - ich füge ausdrücklich hinzu - auch nicht kleinen Fallstricken? Welche Rolle spielen eigentlich im drittteuersten Gesundheitswesen der Welt noch die Patientinnen und Patienten? Stehen sie tatsächlich noch im Vordergrund, oder geht es in unserem Gesundheitswesen nur noch um Ökonomisierung und Gewinnmaximierung?
Gerade im Krankenhaussektor, dem originären Zuständigkeitsbereich des Landes, haben sowohl der medizinische Fortschritt als auch ein zunehmend harter Wettbewerb zu erheblichen Strukturveränderungen geführt. Auf der einen Seite können heute sehr, sehr viele Operationen ambulant durchgeführt werden, die noch vor wenigen Jahren einen längeren Krankenhausaufenthalt erforderten; das ist ohne Frage gut für die Patienten. Auf der anderen Seite bedeutet das zwangsläufig, dass nicht mehr so viele Krankenhausbetten gebraucht werden.
Kleine, solitär geführte Krankenhäuser haben in Wirklichkeit keinerlei Chance gegen große Krankenhauskonzerne, die nach dem Aldi-Prinzip arbeiten. Kommunale und gemeinnützige Krankenhäuser haben zwar im Kern die gleichen gesetzlichen Vorgaben, aber sie haben deutlich längere Entscheidungswege und im Übrigen auch keinen Cashpool, der Defizite, wenn nötig, über Jahre ausgleicht. Über die Unterschiede in der Bezahlung und über die Personalausstattung will ich hier gar nicht reden.
Es bleibt festzustellen, dass wir zwar die Trägervielfalt bei unseren Krankenhäusern wollen, es aber schon längst keine fairen Wettbewerbsbedingungen zwischen privaten und freigemeinnützigen bzw. öffentlichen Krankenhäusern mehr gibt. Unter dem Strich hat das zu Schließungen von Krankenhäusern und zu einer massiven Privatisierungswelle geführt. Das erleben wir alle vor Ort. Ich prophezeie Ihnen: Diese Entwicklung ist noch nicht zu Ende.
Ein Arzt am Krankenhaus ist für viele Menschen ein Sicherheitsaspekt. Wie die medizinische Versorgung aussieht, spielt teilweise auch bei der Frage eine Rolle, wo man sich niederlässt.
Wenn sich Krankenhausstrukturen verändern, müssen wir über wohnortnahe Alternativen nachdenken. Wenn der Arztberuf immer weiblicher wird und wenn immer weniger Ärzte als Freiberufler, sondern vielmehr in Praxisgemeinschaften oder als Angestellte arbeiten wollen, dann müssen wir auch hier über Alternativen nachdenken. Da gibt es z. B. den Orthopäden, der sich vor Ort nicht mehr niederlassen will, der aber am gleichen Ort in der Rehaklinik vorhanden ist und der nicht an der ambulanten medizinischen Versorgung teilnehmen darf. Ich halte das für einen Treppenwitz, meine Damen und Herren.
Die strikte Trennung zwischen „ambulant“ und „stationär“ und im Übrigen auch das Standesdenken und - Entschuldigung, wenn ich das hinzufüge - auch der Standesdünkel müssen in einigen Bereichen endlich überwunden werden. Das wird uns nicht nur Freude bereiten.
Ich will, weil es hier dreimal angesprochen wurde, ausdrücklich sagen: Natürlich spielt das Thema Pflege dabei auch eine Rolle. Das Thema spielt schon im Krankenhaus eine Rolle. Das spielt schon bei der Frage von Substitution und Delegationsprinzip eine Rolle. Aber - da hat der Kollege Meyer recht -: Wir haben uns mit dem Thema Pflege sehr, sehr häufig sehr intensiv - übrigens meistens unter der Überschrift „Altenpflege“ - beschäftigt. Wir können die Themenstellung einer solchen Enquete unendlich ausweiten. Das ist im Gesundheitswesen überhaupt kein Problem. Wir können dann anderthalb Legislaturperioden tagen. Aber genau das wollen wir nicht. Wir wollen uns auf den Kernbereich der medizinischen Versorgung - auch unter Einbezug der Pflege - beschränken, weil es da überall lichterloh brennt, meine Damen und Herren.
Im Vordergrund dieser zeitlich eng begrenzten Enquete darf im Übrigen nicht das übliche Gejammere über die schwierige Situation und die fehlenden Zuständigkeiten stehen. Wir müssen und wollen in dieser Enquete ganzheitlich denken, die Spielräume des Landes ausreizen und neue Lösungsansätze erarbeiten.
Die Sicherung der medizinischen Versorgung ist ein Kernelement der staatlichen Daseinsvorsorge. Ein „Weiter so!“ kann es nach den bisherigen Erfahrungen eindeutig nicht geben.
Also: Versuchen wir es! Packen wir es an! Alle Interessierten, die ernsthaft daran mitarbeiten wollen, sind dazu herzlich eingeladen.
Vielen Dank.
Rede während der Plenarsitzung vom 13.11.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahrzehnten diskutieren wir in Deutschland leidenschaftlich und parteiübergreifend darüber, wie die Bereitschaft zur Organspende erhöht werden kann. „Zustimmungslösung“, „Widerspruchslösung“ und „Informationslösung“ sind dabei Schlagworte, die aktuell wieder kontrovers diskutiert werden.
Das ist übrigens eine Entscheidung, die jeder mit sich persönlich abmachen muss. Das müssen wir respektieren. Aber darum geht es bei dem Gesetz, über das wir heute beraten, ausdrücklich nicht, meine Damen und Herren.
1997 wurde in Deutschland das erste Transplantationsgesetz verabschiedet; 2012 wurde es umfas-send novelliert. Dabei wurden u. a. die Lebendspende für die nächsten Angehörigen ermöglicht und außerdem die Krankenkassen verpflichtet, ihre Mitglieder regelmäßig über die Möglichkeit einer Organspende aufzuklären.
Genutzt hat das bis heute leider relativ wenig. Vor allem nach kriminellen Machenschaften einzelner Akteure vor nicht allzu langer Zeit, wo Patienten auf der Warteliste vorgezogen wurden, ist die Spendenbereitschaft bei uns in Deutschland auf einen neuen Tiefpunkt gesunken. Es ist bereits gesagt worden: 2007 waren es einmal 1 300 Organspenden; 2017 waren es noch 797 Organspenden.
Um die konkreten Zahlen deutlich zu benennen: 12 000 Menschen warten nach wie vor auf ein Spenderorgan, und jährlich sterben mindestens 1 000 Menschen, weil kein Spenderorgan zur Verfügung steht.
Fast jedes Thema, welches zwingt, sich mit den Folgen des eigenen Todes auseinanderzusetzen, ist für viele Menschen ein Tabuthema. Da gehen Aufklärungskampagnen sehr schnell ins Leere. Allerdings: 2016 hatten 32 % aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland einen Organspendeausweis; jetzt sind es bereits 36 %. Die Frage ist: Wenn 29 Millionen Menschen einen Organspendeausweis haben, wieso kommt es dann nur zu 800 Organspenden?
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) weist seit Jahren darauf hin, dass nur 45 % der deutschen Krankenhäuser ihrer gesetzlichen Meldepflicht nachkommen. Dafür gibt es sehr unterschiedliche Gründe: fehlende Anreize, Arbeitsverdichtungen in den Krankenhäusern sowie die Unwissenheit und Scheu vor den schwierigen Gesprächen mit den Angehörigen des gerade verstorbenen Patienten.
Für diese schwierige Aufgabe sieht das Bundesgesetz die sogenannten Transplantationsbeauftragten vor. Sie sind für die Koordination und Identifizierung potenzieller Organspender zuständig, und sie suchen auch das Gespräch mit den Angehörigen. Allerdings ist es Aufgabe der Länder, die Qualifizierungs- und Freistellungsregelungen sowie die erforderliche Qualität der Organübertragung in Landesgesetzen zu regeln. Bereits dreimal forderte der Niedersächsische Landtag seit 2004 frühere Landesregierungen - übrigens einstimmig - auf, ein Niedersächsisches Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz vorzulegen. Frau Dr. Reimann ist die fünfte Sozialministerin seitdem - sie hat es allerdings geschafft, diesem Wunsch des Parlaments endlich zu folgen.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich auch die Bundesregierung aktuell wieder mit dem Gesetz beschäftigt und in eine Novellierung des Bundesgesetzes einsteigen will.
Ich will aber auch deutlich darauf hinweisen, Herr Kollege Bothe: Auch wenn es ein neues Bundesrahmengesetz gibt, bestehen die Landesausführungsgesetze weiter. Das Landesausführungsgesetz ist damit nicht nichtig. Es müsste im Zweifel angepasst werden. Aber eine solche Anpassung wäre allemal besser, als nach einer 15-jährigen Wartezeit nun erneut auf den Bund zu warten. Das ist, glaube ich, nicht zu verantworten.
Auch ich will auf diese Auseinandersetzung mit Ihnen eingehen: Wir haben eine sehr intensive wissenschaftliche Anhörung im Ausschuss durchgeführt. Dort ist die von Ihnen vertretene Position zum Hirntod eine einzige absolute Ausnahmeposition gewesen.
Wenn sich nun die AfD genau diese Position zu eigen macht, dann ist das ihre Sache. Es ist aber schon ein bisschen merkwürdig, dass Sie offenkundig - und Sie haben das eben bestätigt - mit einer absolut vorgefassten Meinung in eine solche Anhörung gehen und auch nicht in der Lage sind, die wissenschaftlichen Ausführungen mindestens gedanklich umzusetzen und Ihre Position zu überdenken. Denn Sie haben hier eben deutlich gesagt, Sie hatten schon vorher eine feste Meinung. Das finde ich schon hoch bedauerlich. Herr Försterling hat völlig recht: Den Tausenden von wartenden Menschen werden Sie damit alles andere als gerecht. Hoffentlich kriegen Sie nie die Chance, Ihre Position umzusetzen, meine Damen und Herren.
Es ist gesagt worden: In Niedersachsen wird zukünftig jedes Krankenhaus, das über eine Intensivstation verfügt, einen Transplantationsbeauftragten bestimmen. Unser Gesetz regelt die Kompetenzen, die Qualifikationen, die Freistellung und die Weiterbildung. Darüber hinaus wird jedes Krankenhaus ohne Intensivstation - das sind immerhin 68 Krankenhäuser in Niedersachsen - sogenannte Transplantationsberater vorsehen können. Wir haben darüber hinaus die Kommunikation zur Deutschen Gesellschaft für Organspende in diesem Gesetz - wie erst wenige andere Länder vor uns - eindeutig geregelt.
Ich will es nicht verhehlen: Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Frau Brüggeshemke vom GBD für ihre wieder einmal hervorragende juristische Unterstützung.
Meine Damen und Herren, Niedersachsen schafft mit der heutigen Entscheidung das bisher weitreichendste und modernste Organtransplantationsrecht der Länder. Eine Organtransplantation ist für viele Menschen die letzte lebensrettende Chance. Hoffen wir, dass unser heutiger Beschluss dazu beiträgt, dass zukünftig deutlich mehr Menschen diese lebensrettende Chance bekommen und - ich sage es noch einmal - dass sich die Position der AfD auf keinen Fall durchsetzt.
Rede während der Plenarsitzung vom 24.10.2018 im Niedersächsischen Landtag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Drucksache 18/1659 empfiehlt Ihnen der Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung einstimmig und im Einklang mit dem mitberatenden Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Der Gesetzentwurf der Landesregierung ist am 20. August 2018 den Ausschüssen zur Beratung und Berichterstattung überwiesen worden. Er wurde am 30. August 2018 von einer Vertreterin des Sozialministeriums in den Fachausschuss eingebracht.
Die kommunalen Spitzenverbände haben auf Anfrage erklärt, dass sie auf eine Anhörung zu diesem Gesetzentwurf verzichten und diesem inhaltlich zustimmen.
Der Gesetzentwurf bezieht sich auf zwei Erstattungsverfahren, die der Bund in den beiden §§ 46 a und 136 SGB XII geregelt hat. Das damit zusammenhängende Erstattungsverfahren zwischen Land und Kommunen hat der Landtag im Grunde bereits im September 2017 darauf abgestimmt, als er das Landesausführungsgesetz einmütig geändert hat. Deshalb kann ich an dieser Stelle auf Einzelheiten verzichten und verweise auf meine damalige Berichterstattung.
Mit dem jetzigen Gesetzentwurf werden die schon im letzten Jahr geregelten Mitteilungs- und Zahlungstermine um wenige Wochen nach hinten verschoben, weil auch der Bund die von ihm geregelten Termine jetzt noch einmal angepasst hat. Im Ausschuss bestand über diese Anpassung Einigkeit.
Ich bitte Sie im Auftrage des Sozialausschusses, diesem Gesetzentwurf - wie vorgeschlagen - unverändert zuzustimmen.
Rede während der Plenarsitzung vom 24.10.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ja schon zur Kenntnis genommen, dass es trotz dieser sehr komplizierten Überschrift schlicht-weg um eine Änderung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes geht.
Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode eine entsprechende Vorlage gemacht. Es ist dann im Rahmen der Verbandsanhörung festgestellt worden, dass genau diese EU-Richtlinie in diesem Referentenentwurf bzw. Gesetzentwurf gefehlt hat. Ich kann mich da nur ausdrücklich bei den Behindertenverbänden bedanken. Es wäre nämlich sonst unter Umständen ohne eine solche Barrierefreiheit im Gesetz verabschiedet worden. Es ist schon gut, wie intensiv und kooperativ sie mit uns zusammenarbeiten.
Wir haben dann aufgrund der verkürzten Wahlperiode die Diskontinuität bei diesem Thema gehabt, sodass der Gesetzentwurf mit der Barrierefreiheit erst jetzt zur Verabschiedung vorliegt. Wenn wir das tun, dann sind wir nach Bayern und Brandenburg erst das dritte Bundesland, das die EU-Richtlinie in Landesrecht umsetzt.
Wir stellen klar, dass alle öffentlichen Einrichtungen zur Umsetzung verpflichtet werden, übrigens einschließlich privater Pflegedienste, Krankenhäuser und Verkehrsunternehmen, die zu mehr als 50 % aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Wir stellen klar, dass es keine Verschlechterung zum geltenden Recht geben darf, insbesondere in den Schulen und Kitas. Das war befürchtet worden. Wir haben auch Kontrollmechanismen eingeführt, die dies überwachen und auch gegebenenfalls durchsetzen, nicht zuletzt die schon angesprochene Schlichtungsstelle mit erheblichen Kompetenzen des Betretungsrechtes, des Akteneinsichtsrechtes und des Einbindens der Aufsichtsbehörde. Insofern ist das, glaube ich, ein wichtiger Schritt.
Ergänzend gibt es den Entschließungsantrag der Grünen. Darin gibt es Positionen, die auch in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU enthalten sind. Das ist überhaupt gar keine Frage. Ich glaube, es ist auch wenig strittig, dass es ein Kompetenzzentrum in Niedersachsen geben muss. Aber dies muss wirklich einer Gesamtnovelle vorbehalten bleiben. Es macht wirklich keinen Sinn, solche Einzelelemente jetzt da anzudocken. Das wird der Gesamtproblematik dessen, was hier zu bearbeiten ist, nicht gerecht.
Ich stimme ausdrücklich mit der Nr. 3 des Entschließungsantrags der Grünen nicht überein. Darin sagen Sie, dass öffentliche Stellen bei unverhältnismäßiger Belastung finanziell entlastet werden sollen. Ich glaube, dass es eines der Grundprobleme ist, dass immer noch nicht alle öffentlichen Stellen begriffen haben - insbesondere auch kommunale Ebenen -, dass die UN-BRK geltendes Recht für alle Ebenen ist. Dann kann es nicht sein, dass man jedes Mal nach dem Landes- oder Bundesgesetzgeber ruft und vermeintlich Konnexität fordert; denn die ist an der Stelle gar nicht gegeben. Wir wären eine ganze Ecke weiter, wenn jeder endlich seine Hausaufgaben machen würde, meine Damen und Herren.
Dann will ich ausdrücklich sagen, dass wir uns auch in der jetzigen Koalition fest vorgenommen haben, eine komplette zeitgemäße Überarbeitung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes durchzuführen. Das ist seit 2010 überfällig. Das heißt, in Wahrheit haben sich alle Fraktionen dieses Hauses an dieser Stelle nicht mit Ruhm bekleckert. Seit 2009 gibt es die UN-BRK. Das hätte längst in diesem Bereich angepasst werden müssen.
Was macht das deutlich? - Das macht deutlich, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen leider immer noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sondern dass sie immer noch um Rechte kämpfen müssen, die für nichtbehinderte Menschen absolut selbstverständlich sind. Wir erzählen denen dann auch noch, dass wir das nicht umsetzen können, weil das leider in ihrem Fall ausgesprochen viel Geld kostet.
Ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir das Thema Inklusion ernster nehmen, als wir das bisher in Deutschland machen. Europäische Nachbarländer sind uns dort meilenweit voraus. Wir haben es ja sogar fertiggebracht, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Thema Inklusion - übrigens auch parteiübergreifend - weitgehend auf das Thema Bildung zu fokussieren. Das haben wir dann auch noch negativ hinbekommen. Es ist eine richtig schlimme und schwierige Debatte, wenn Menschen kommen und einen inklusiven Arbeitsmarkt haben wollen, wenn sie gleichberechtigte Teilhabe im öffentlichen Personennahverkehr und in allen gesellschaftlichen Bereichen wollen.
Ich finde, wir alle müssen miteinander - ich schließe hier keine Fraktion des Hauses aus - die UN-BRK endlich als das begreifen, was sie ist. Sie ist nämlich geltendes Recht. Sie ist ein Menschenrecht. Sie hat etwas mit Menschenwürde und Achtung zu tun. Wir sollten uns nun wirklich schleunigst auf den Weg machen, die Generalnovelle des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes in Niedersachsen ins Parlament und durch das Parlament zu bringen. Das sind wir 1,3 Millionen Menschen mit Behinderungen in diesem Land schon lange schuldig.
Rede während der Plenarsitzung vom 24.10.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am kommenden Dienstag beginnt vor dem Landgericht Oldenburg ein Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels Högel wegen 100fachen Mordes an Patientinnen und Patienten in den Kliniken Delmenhorst und Oldenburg. Högel ist bereits wegen mehrerer Morde lebenslang verurteilt.
Wir wissen aus dem hier im Landtag 2015 und 2016 eingesetzten Sonderausschuss, dass die Anzahl der ermordeten Patienten bzw. Menschen vermutlich mehr als doppelt so hoch ist, dass dies aber aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr nachgewiesen werden kann. Es handelt sich jedenfalls um den größten Massenmörder unseres Landes, der ohne Opferprofil wahllos tötete.
Wer in ein Krankenhaus muss, tut dies in der Regel nicht mit Begeisterung, sondern damit ist meistens eine gehörige Portion Angst verbunden. Schon deshalb muss ein Krankenhaus ein Ort sein, dem der Patient vertrauen kann, wo er Sicherheit und Hilfe erhofft und erwarten kann.
Högel ist nicht nur für die Kliniken Oldenburg und Delmenhorst ein nachwirkendes Problem, sondern für die gesamte Krankenhauslandschaft. Wir wollten daher im Krankenhaus-Sonderausschuss klären, ob landespolitische Regelungen geschaffen werden können, die die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Verbrechen wiederholen, für die Zukunft deutlich minimieren.
In einem Gesundheitswesen, das immer stärker ökonomisiert wird, in dem die Gewinnmaximierung und die Abschottung der Sektoren im Vordergrund stehen, in dem Högel lieber mit einem super Zeugnis weggelobt als Anzeige erstattet wird in einem solchen System gibt es offensichtlich auch systemrelevante Probleme. Es war relativ schnell klar, dass auch in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst früh Hinweise darauf vorhanden gewesen sind, dass dort etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.
Aus den Erkenntnissen des Sonderausschusses hat Niedersachsen mehrere gesetzliche Konsequenzen gezogen. Eine weitere ziehen wir heute:
Erstens. Seit dem 1. Januar 2016 müssen alle Krankenhäuser in Niedersachsen Patientenfürsprecher haben, an die sich Patientinnen und Patienten sowie Angehörige vertrauensvoll wenden können. Zwischenzeitlich ist das fast flächendeckend umgesetzt. Mir ist nur ein einziges Haus in Niedersachsen bekannt, dem das Sozialministerium bisher aufsichtsrechtliche Mittel zur Umsetzung androhen musste.
Zweitens. Seit dem 1. Juli 2016 hat Niedersachsen als zweites deutsches Flächenland einen Landesbeauftragten für Patientenschutz. Herr Dr. Wüst hat gerade in der vergangenen Woche seinen aktuellen Jahresbericht im Fachausschuss vorgestellt und dabei deutlich gemacht, dass die Inanspruchnahme seiner Person innerhalb eines Jahres um über 10 % gestiegen ist. Vor allem die von ihm im Fachausschuss vorgestellten Fälle machen deutlich, wie wichtig und notwendig die Einrichtung dieser Stelle gewesen ist.
Drittens. Am 19. Juni dieses Jahres haben wir das Bestattungsgesetz geändert. Wir haben die Meldetatbestände für die den Tod feststellenden Ärzte deutlich erweitert, die Leichenschau neu geregelt und im Übrigen festgelegt, wann und durch wen eine klinische Leichenöffnung außerhalb der gerichtsmedizinischen Obduktion vorzunehmen ist.
Meine Damen und Herren, heute nun wird das Krankenhausgesetz verändert. Es ist im Rahmen der Ausschussberatungen gegenüber dem vorgelegten Entwurf noch einmal deutlich verschärft worden.
Wir stellen fest, dass es eine Unterschreitung von Mindestmengen bei bestimmten Operationen in niedersächsischen Krankenhäusern nicht geben wird. Wir lehnen das aus Gründen des Patientenschutzes und der Patientensicherheit ausnahmslos ab.
Die Position der Patientenfürsprecher wird auf Vorschlag des Landespatientenschutzbeauftragten nochmals gestärkt. In allen Krankenhäusern führen wir obligatorisch ein anonymes Meldesystem, das sogenannte Whistleblowing, ein. Dieses ermöglicht Beschäftigten, eventuelle Verdachtsmomente für Fehlverhalten oder sogar kriminelles Handeln innerhalb des Krankenhausbetriebs an eine neutrale Stelle zu melden, ohne dass dabei Rückschlüsse auf deren Identität gezogen werden können. Uns ist bewusst im Fachausschuss und sicherlich auch hier, dass wir damit juristisches Neuland betreten und es daher auch verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Aber, meine Damen und Herren, gerade der Fall Högel hat bewiesen, dass bei Vorhandensein des Whistleblowings Menschenleben hätten gerettet werden können.
Wir werden darüber hinaus an allen niedersächsischen Krankenhäusern bis spätestens zum 1. Januar 2022 Stationsapothekerinnen und Stationsapotheker haben. Das dauert drei Jahre, weil die Ausbildung so lange dauert. Die Apothekenkammer hat bereits entsprechende Vorsorge getroffen und wird Ausbildungskurse anbieten. Auch hier betreten wir Neuland, und auch hier gibt es verfassungsrechtliche Bedenken.
Aber ich weise darauf hin: Eine eigene Krankenhausapotheke gibt es bei uns nur noch in 28 von 182 niedersächsischen Krankenhäusern. Dadurch erhöht sich die Schwierigkeit, ungewöhnliche Verwendungsweisen von Medikamenten frühzeitig zu entdecken. Stationsapotheker sind auf den Stationen beratend tätig, um dort die Medikamentenabgabe begleitend zu unterstützen. Ergänzend haben SPD und CDU einen Entschließungsantrag vorgelegt, der den Bund auffordert, die Refinanzierung von Stationsapothekern im SGB V zu verankern.
Und: Wir werden Krankenhäuser verpflichten, klinikinterne Arzneimittelkommissionen einzusetzen. Diese dienen künftig als Schnittstelle zwischen den Arzneimittelbelieferungen und der jeweiligen Krankenhausstation.
Ferner muss jedes Krankenhaus einen Plan erstellen, wie Beschäftigten bei berufsbezogenen Belastungen geholfen werden kann.
Und zu guter Letzt: Krankenhäuser gehören unstrittig zum Kernelement der staatlichen Daseinsvorsorge. Unsere Landkreise haben den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag. Wenn es Probleme mit und in einzelnen Krankenhäusern gibt, gehen Menschen selbstverständlich davon aus, dass Aufsichtsbehörden vorhanden sind, die hier einschreiten. Dem ist aber nicht so. Zumindest in Niedersachsen ist das ein Trugschluss. Das Land Niedersachsen hatte bisher keinerlei aufsichtsrechtliche Kompetenzen.
Mit diesem Gesetzentwurf erhält das Land erstmalig aufsichtsrechtliche Kompetenzen zur Durchsetzung der hier vorgestellten Gesetzesänderungen einschließlich Vollstreckungskompetenzen. Wir sind uns allerdings in der Koalition auch einig, dass insbesondere das Thema der Landesaufsicht noch einmal verstärkt durchleuchtet und gegebenenfalls nachjustiert werden muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, ich bedanke mich abschließend für die parteiübergreifend sehr konstruktive Zusammenarbeit und die arbeitsintensive Zusammenarbeit mit dem GBD bei allen vier Gesetzen. Wir haben damit zunächst alle erkannten landesrechtlichen Schlussfolgerungen aus dem Fall Högel umgesetzt. Damit können wir das Leid der betroffenen Familie natürlich nicht ungeschehen machen. Aber wir hoffen, Vergleichbares in der Zukunft verhindern zu können.
Rede während der Plenarsitzung vom 14.09.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bothe, Sie haben gestern bei dem Antrag Öffentlicher Gesundheitsdienst damit begonnen, das alles sei nichts Neues, und das sei ein altes Problem. Das kann ich 1 : 1 zurückgeben, was hier Ihren Antrag betrifft.
Sie haben Ihren Antrag vorgelegt. Ich finde, der ist offensichtlich schnell geschrieben worden, mit einem Schuss Populismus, aber sehr oberflächlich und im Übrigen handwerklich schlecht. Ich sage Ihnen auch, warum.
Sie fordern beispielsweise die Schulgeldfreiheit ab Herbst dieses Jahres für Physiotherapeuten. Die Klassen haben zum Teil schon begonnen. Wie Sie das mit denen machen, denen Sie dann rückwirkend das Schulgeld ersparen wollen, das weiß ich nicht.
Sie fordern das für Physiotherapeuten. Für Physiotherapeuten ist das Land gar nicht zuständig. Das Land ist nach unserem Schulgesetz ausschließlich für Ergotherapeuten zuständig. Für Logopäden und Physiotherapeuten gilt das Bundesrecht. Und wenn es dann um die Frage geht, wie Sie das letztlich über das Niedersächsische Schulgesetz finanzieren wollen, kommen dazu in Ihrem Antrag null Vorschläge.
Sie fordern dann drittens, sich auf Bundesebene für eine höhere Vergütung einzusetzen. Vielleicht sollten Sie dann aber fairerweise wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass der Bund in der letzten Legislaturperiode mit der Großen Koalition erstens das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung verabschiedet hat und zweitens das Versorgungsstärkungsgesetz insgesamt verabschiedet hat. Er hat also genau das gemacht, was Sie unter Nr. 3 Ihres Antrags fordern. Das wirkt übrigens auch. Beschlossen sind nämlich auf der einen Seite die Abkopplung von der Grundlohnsumme und auf der anderen Seite eine Angleichung der Vergütungssätze, und zwar erst einmal mit dem Vorbehalt der Überprüfung bis 2021.
Wenn Sie sich einmal die Statistiken angucken, dann werden Sie feststellen, dass dies dankenswerterweise allein bei den niedersächsischen Ortskrankenkassen im Bereich der Physiotherapie zu einer Ausgabensteigerung von immerhin 34% geführt hat. Also darin ist sehr wohl Bewegung, und diese Entwicklung bis 2021 muss man meines Erachtens intensiv beobachten.
Deshalb sage ich Ihnen noch einmal: Ich finde, die AfD springt zwar schnell, aber sie springt zu kurz. Wir haben hier ein paar Probleme mehr.
Wir haben beispielsweise auf der Anbieterseite die Situation, das erlaube ich mir hier einmal zu sagen, dass die nicht gut organisiert sind. Wenn ich da weit mehr als 40 Berufsverbände habe, dann ist natürlich die Schlagkraft, die meines Erachtens notwendig wäre, nicht in dem Ausmaß gegeben, wie das wirklich gebraucht wird.
Wir haben einen Zuständigkeitswirrwarr zwischen Bund und Ländern. Das wäre aufzulösen.
Das, was ich von dem, was Sie gesagt haben, ausdrücklich teile, Sie haben es zwar anders formuliert, aber das ist ja nicht schlimm , ist, dass wir hier in Teilen eine ähnliche Situation wie bei der Altenpflege haben.
Hier gibt es nicht genug Wertschätzung für dieses Berufsbild.
Wir haben auch eine ähnliche Ausgangslage, indem dort wirklich schlechte Vergütungen gezahlt werden. Ein Physiotherapeut, vollzeitbeschäftigt, verdient im Monat im Durchschnitt 2.200 Euro brutto. Es sind dort sehr, sehr viele Menschen insbesondere Frauen teilzeitbeschäftigt. Bei denen ist bis zu 80 % Altersarmut vorprogrammiert.
Wenn ich eine solche Perspektive habe, werde ich nur wenige Menschen wirklich motivieren können, in diesen Beruf zu gehen. An dieser Stelle sind wir nicht auseinander. Die Frage ist nur, wie schnell wir dahinkommen, das entsprechend zu verbessern.
Wir haben es nach meiner Auffassung auch an dieser Stelle eindeutig wieder mit den Auswirkungen einer massiv fortschreitenden Ökonomisierung im Gesundheitswesen zu tun. Das geht nämlich nicht nur mit der Bezahlung los, das fängt viel früher an. Wir haben früher Serienbehandlungen gehabt, bei der eine Serie zwölf Behandlungen hatte. Wir sind heute bei sechs Behandlungen. Das ist über viele Jahre so reduziert worden. Wir haben früher eine Intensität der Behandlung gehabt, die bei 40 Minuten pro Patient lag. Sie ist zwischenzeitlich bei maximal 20 Minuten pro Patient, einschließlich Vor und Nachbereitung, angekommen. Mir sagt jeder Physiotherapeut: Wenn ich sozusagen einen Muskel warm gekriegt habe, dann ist meine Behandlung zu Ende.
Ich glaube, darüber müssen wir ebenfalls reden. Das ist auch ein Einfluss von Verteilungskämpfen, wie wir sie an anderer Stelle des Gesundheitswesens kennen.
Insofern geht es um die sehr grundsätzliche Frage, welchen Stellenwert diese medizinischen Anwendungen eigentlich haben sollen. Da sind wir wiederum nicht auseinander. Diese Anwendungen verhindern Operationen, verkürzen Operationen, sie haben einen hohen therapeutischen Wert.
Ich finde, diese Diskussion deshalb sage ich: Sie sind da sehr kurz gesprungen ist meines Erachtens wesentlich grundsätzlicher zu führen.
Die Große Koalition sowohl auf Bundesebene als auch auf Landesebene hat sich zu diesen Themen geäußert.
Dann will ich doch einmal in Erinnerung rufen: Nachdem die beiden Gesetze hinsichtlich der Vergütung in der letzten Legislaturperiode verändert worden sind, hat die Große Koalition auf Bundesebene jetzt festgestellt:
„Wir werden die Ausbildung der Gesundheitsfachberufe im Rahmen eines Gesamtkonzeptes neu ordnen und stärken.“
Anmerkung: Ich halte das im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für zwingend nötig.
Dann zweitens:
„Wir wollen das Schulgeld für die Ausbildung in den Gesundheitsberufen abschaffen, so wie es in den Pflegeberufen bereits beschlossen wurde.“
Sie finden eine ähnliche Formulierung in der Vereinbarung der Großen Koalition auf Landesebene. Ich zitiere:
„Um den Fachkräftenachwuchs insbesondere im Bereich der Sozial-, Gesundheits- und Pflegeberufe mit einer Vollzeitschulausbildung (gemäß Niedersächsischem Schulgesetz) zu sichern, soll die Überführung in eine duale Berufsausbildung geprüft werden. Ferner wollen wir sicherstellen, dass Schulgeldzahlungen einer Berufswahl nicht im Wege stehen. Diese Kostenübernahme soll auch für Berufe der genannten Berufsgruppen gelten, die in der Zuständigkeit des Bundes liegen.“
Ich stelle fest: Wir haben ein sehr, sehr ernstes Thema. Das ist wesentlich komplexer als Ihr Antrag. Und ich könnte etwas lax feststellen: Sie schmeißen sich hinter einen fahrenden Zug Gott sei Dank hinter einen Zug und nicht vor einen Zug, und wir packen das ohnehin an, meine Damen und Herren.
Rede während der Plenarsitzung vom 23.08.2018 im Niedersächsischen Landtag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die gute Nachricht ist schon verkündet worden: Mit 385.000 berufstätigen Ärzten haben wir in Deutschland so viele Ärzte wie noch nie. Allein in den letzten zehn Jahren gab es eine Steigerung um über 60.000.
Es gibt aber auch schlechte Nachrichten: Erstens. Immer weniger Ärzte lassen sich als Hausärzte nieder. Waren es vor 20 Jahren noch 60 % aller Medizinstudenten, sind es heute nur noch 40 %. Das Verhältnis des Anteils von Hausärzten zu Fachärzten hat sich genau umgekehrt. Durch die Kreierung immer neuer Facharztgruppen hat dies die ärztliche Selbstverwaltung im Übrigen zum größten Teil selbst verursacht. Die Folge sind Verteilungskämpfe um die Honorare.
Zweitens. Immer weniger Ärzte wollen als Selbstständige arbeiten. Allein in den letzten drei Jahren stieg der Anteil angestellter Ärzte von 13 % auf 18 %.
Drittens. Der Arztberuf wird immer weiblicher. 63% der Medizinstudierenden sind Frauen; im Fachbereich der Allgemeinmedizin sind es sogar 75 %. Die gewünschten Rahmenbedingungen für eine Niederlassung haben sich seither deutlich verändert nicht nur hinsichtlich einer guten Vereinbarung von Familie und Beruf, sondern auch hinsichtlich der deutlich geringeren Bereitschaft, sich alleine niederzulassen. Ärztinnen bevorzugen eindeutig Teilzeitarbeitsplätze oder Gemeinschaftspraxen.
Es liegt also ein gewaltiger Berg von Problemen vor den Akteuren im Gesundheitswesen. Das ist aber nicht erst seit heute so. Das hat schon mit der regionalisierten Bedarfsplanung begonnen. Was nützen Versorgungsbereiche analog den Landkreisgrenzen? Die Ärzte sitzen dann vielleicht in der Kreisstadt, aber in den benachbarten Grundzentren lässt sich kein Arzt nieder. Trotzdem gilt die Versorgung als gesichert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Lebenswirklichkeit insbesondere von nicht mobilen älteren oder gebrechlichen Menschen hat das rein gar nichts zu tun.
Wir brauchen dringend eine regionalisierte Bedarfsplanung, die diesen Namen auch verdient.
Zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung waren wir in den letzten Jahren in Niedersachsen nicht untätig: Einführung des Niedersachsen-Fonds in Höhe von 1 Million Euro pro anno, bis zu 50.000 Euro Zuschuss für eine neue Arztniederlassung, Stipendienprogramme für die Hausarztausbildung, Verstärkung der Telemedizin und der Delegationsausweitung, unterschiedliche Modelle in den zwischenzeitlich über 30 Gesundheitsregionen.
An dieser Stelle möchte ich die ausgesprochen vorbildliche Zusammenarbeit hervorheben, die vom Land, den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung geleistet wird, um neue Versorgungsmöglichkeiten zu erproben.
Alle diese Aktivitäten wollen wir mit dem vorliegenden Antrag verstärken und ausbauen. Nicht zuletzt auf Druck der Bundesländer gibt es auf Bundesebene den Masterplan Medizinstudium 2020. Dieser ermöglicht es den Ländern, bis zu 10 % der Medizinstudienplätze vorab Bewerberinnen und Bewerbern zu geben, die sich verpflichten, nach Abschluss des Studiums als Hausarzt in unterversorgten ländlichen Regionen zu arbeiten.
Diese sogenannte Landarztquote wird in Bayern und NRW schon praktiziert. Unterstützt wird diese Möglichkeit durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass neben der Abinote noch mindestens zwei weitere Kriterien bei der Vergabe von Studienplätzen mit einbezogen werden müssen. Ein Einser-Abi, liebe Kolleginnen und Kollegen, garantiert übrigens nicht von vornherein einen guten Mediziner.
Aktuell das ist gesagt worden sind in Niedersachsen 365 von den rund 5 100 Hausarztsitzen unbesetzt. In den nächsten zehn Jahren werden rund 1 000 unbesetzte Hausarztstellen dazukommen. Der Mangel an hausärztlichem Nachwuchs ist gewaltig. Und die Medizinausbildung dauert in der Tat mindestens zwölf Jahre.
An dieser Stelle habe ich allerdings eine andere Meinung als der Kollege Jasper: Angesichts dieses langen Ausbildungszeitraumes stellt sich nach meiner Auffassung jetzt die Frage, ob wir eine Landarztquote einführen wollen oder nicht. Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt: Die Landarztquote ist kein Allheilmittel. Aber sie kann sehr wohl ein außerordentlich wichtiger Baustein sein, wenn es um die zukünftige Hausarztversorgung geht.
Dazu gehört im Übrigen auch, diese endlos lange Debatte über sektorenübergreifende Versorgung endlich zu beenden. Ich will das sehr deutlich sagen: Bisher waren die Akteure im Gesundheitswesen immer nur dann zur Zusammenarbeit bereit, wenn es wirtschaftlich nicht gut lief. Ansonsten wird schon bei zaghaften Ansätzen einer sektorenübergreifenden Versorgung immer der Untergang des Abendlandes vorhergesagt oder im Zweifel den Mitakteuren im Gesundheitswesen die fachliche Qualifikation abgesprochen.
Es macht aber keinen Sinn, wenn krampfhaft niederlassungswillige Ärzte mit immer neuen Ködern gesucht werden und der im Krankenhaus vorhandene Facharzt nicht an der ambulanten Versorgung teilnehmen darf. Es macht auch keinen Sinn, wenn eine Operation sowohl im Krankenhaus als auch ambulant in einer Facharztpraxis durchgeführt werden könnte, aber der niedergelassene Arzt für den gleichen Eingriff deutlich weniger Geld bekommt.
Ich bin sicher: Wir haben Ressourcen für eine hochwertige, qualitativ gute und qualifizierte Behandlung. Dafür brauchen wir aber offenbar verpflichtend ein Miteinander, das die Akteure nicht zu einem Wettbewerb um kostspieligste Behandlungen und zum Abwerben von Patienten bringt. Ohne sektorenübergreifende Versorgungssysteme, private und vor allem kommunale Medizinische Versorgungszentren und eine rasche Umsetzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen werden wir die qualitative Versorgung insbesondere im ländlichen Bereich nicht sichern können.
Die Angst vor einer nicht gesicherten medizinischen Versorgung gerade im ländlichen Bereich beschäftigt viele Menschen in unserem Land. Gleichzeitig ist das ein erheblicher Standortnachteil für Kommunen. Die Politik sollte sich nicht übernehmen; sie hat tatsächlich nicht den Sicherstellungsauftrag. Aber sie sollte und das versuchen wir mit diesem Antrag ihre Spielräume und Möglichkeiten nutzen.
Es geht um nicht weniger als die Absicherung der medizinischen Versorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger und damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, um ein Kernelement der staatlichen Daseinsvorsorge sowie auch um den sozialen Frieden in diesem Land.
In diesem Sinne freue ich mich auf konstruktive Beratungen.
Rede während der Plenarsitzung vom 22.08.2018 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Bode, ich hatte schon fast Entzugserscheinungen. Normalerweise kommen Sie jährlich; dieses Mal haben Sie zwei Jahre gebraucht.
Ich will nur noch einmal daran erinnern, dass das aktuelle Ladenschlussgesetz, welches beklagt wurde, aus der Feder der früheren Landesregierung von CDU und FDP stammt, unter maßgeblichem Einsatz des damaligen Wirtschaftsministers. Ich denke, wir beide wissen, wer das gewesen ist.
2009 hat dann das Bundesverfassungsgericht strenge Regeln für die punktuelle Aufhebung des Schutzes an Sonn- und Feiertagen vorgegeben und festgestellt: Ein rein wirtschaftliches Interesse rechtfertigt keine Sonntagsöffnung. - Dennoch stellte die Landesregierung anschließend fest, dass sich das niedersächsische Ladenschlussgesetz bewährt habe und verfassungskonform sei.
Dann gab es den 27. Dezember 2015, also den ersten Sonntag nach Weihnachten. In Hannover wurden die Läden geöffnet, und ver.di beklagte auch diese Öffnung vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich. Trotzdem stellte die FDP in Person ihres stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Herrn Bode - ich sage mal: trotzig - fest, ich zitiere: Eine Ausweitung der Zahl der Tabusonntage sei nicht nachvollziehbar und schränke die Möglichkeiten der Händler unnötig ein.
Mindestens diesbezüglich stelle ich fest, dass Sie sich in Ihrem Gesetzentwurf korrigiert haben, denn nun würden auch Sie ja am 27. Dezember nicht mehr öffnen.
Viel erstaunlicher finde ich im Übrigen, Herr Bode, Ihre Begründung:
„Bei der Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsöffnung sollen alle Kommunen gleichbehandelt werden, insbesondere dürfen kleine Gebietskörperschaften hinsichtlich der möglichen Öffnungen nicht gegenüber großen Städten benachteiligt werden.“
Ehrlich gesagt: Das kam mir bekannt vor. Wissen Sie auch warum? Diese Formulierung haben Sie 1 : 1 aus der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU abgeschrieben.
Es gibt einen Unterschied: Bei uns steht nicht „sollen“, sondern „müssen“. Das ist ein ziemlich gravierender Unterschied.
Gleich mit abgeschrieben haben Sie den vorher-gehenden Satz:
„Ausdrückliches Ziel ist es, die Sonntagsöffnungszeiten nicht auszuweiten.“
Ich denke, das ist ein Versehen von Ihnen gewesen, denn das passt tatsächlich überhaupt nicht zu Ihrem Gesetzestext. Darin werden die Öffnungs-möglichkeiten von bisher vier auf zwölf Sonntage, plus ein Anlass, also auf 13, ausgeweitet. Und Sie haben darauf hingewiesen, dass in der gestern verteilten Neufassung Ihres Gesetzentwurfs nun die bisher zulässigen drei Stunden Ladenöffnung an jedem Sonntag bei bestimmten Waren sogar auf fünf Stunden erweitert werden sollen, d. h. Backwaren, Zeitungen, Straßenkarten, Schreib-materialien, Toilettenartikel, Filme, Tonträger, Geschenkartikel, Spielzeug, Lebens- und Genussmittel usw. Also alles, was man nur dringend am Sonntag kaufen kann und was man offenkundig auch nicht in drei Stunden erledigen kann.
Meine Damen und Herren, die Begründung lautet bei der FDP ganz schlicht: In der Praxis haben sich drei Stunden als nicht ausreichend erwiesen. - Na gut, da ist sie wieder - man muss nämlich noch weiter lesen -, die alte FDP-Ideologie, Geschäfte rund um die Uhr zu öffnen. Spannend ist nämlich Ihr Alternativvorschlag unter II:
„Schaffung flexibler Öffnungszeiten, die es traditionellen Geschäften ermöglicht, rund um die Uhr zu öffnen. Dies beträfe dann auch das allgemeine Verkaufsverbot an Sonntagen, das aufzuheben wäre.“
Vielen Dank für den Offenbarungseid! Ich sage Ihnen, mit uns und mit dieser Koalition nicht!
Von einer Nichtausweitung sind Sie meilenweit entfernt. Die Gewinner dieser Vorgehensweise - das haben wir hier zigmal diskutiert - sind die großen Handelsketten, sind die Discounter, mit dem Ziel entsprechender Gewinnmaximierung. Die Verlierer Ihres Vorschlages sind die kleinen Einzelhändler, die nicht 24 Stunden selber arbeiten können und sich auch kein zusätzliches Personal leisten können. Es sind Zehntausende Beschäftigte, vorwiegend Frauen, die zusätzlich in Minijobs abgedrängt werden und bei denen Altersarmut vorprogrammiert ist. Und es sind Familien, bei denen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nahezu unmöglich wird.
Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit gibt es nichts, was zwingend nur nach 20 Uhr oder an einem Sonntag gekauft werden muss, allenfalls aus der Apotheke, und dafür gibt es entsprechen-de Bereitschaftsdienste. Wir wissen, dass es in einem Flächenland wie Niedersachsen ausgespro-chen schwierig ist, eine allgemein verträgliche Regelung hinzubekommen, die sowohl in den Ballungsgebieten, insbesondere in den beiden Groß-städten, als auch in der Fläche einvernehmlich gelöst werden kann. Das ist mehr oder weniger die Quadratur des Kreises.
Aber eines steht auch fest: Diese Koalition wird das Ladenöffnungsgesetz, wie vereinbart, unter Beachtung des verfassungsrechtlich garantierten Sonntagschutzes an die aktuelle Rechtsprechung anpassen. Vor allem allerdings werden wir dabei die Interessen von Beschäftigten mit in den Fokus nehmen und nicht ausschließlich das Thema der Gewinnmaximierung, was bei Ihnen wieder im Vordergrund steht. Ich denke, insofern werden Sie sich nicht wundern:
Dieser Gesetzentwurf ist genau das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht beschlossen und vorgegeben hat, und er wird mit dieser Koalition nicht zu machen sein.
während der Plenarsitzung vom 18.06.2018 im Niedersächsischen Landtag
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Entwurf eines Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofwesen hört sich eigentlich ziemlich unspektakulär an. Ich darf Ihnen versichern, dass er das in den Beratungen nicht war.
Dabei geht es sehr schnell um sittliche, religiöse und weltanschauliche Fragen, die jeder Mensch - übrigens auch jeder Verband - sehr individuell und persönlich beurteilt. Hinsichtlich der sehr unter-schiedlichen denkbaren und gewünschten Bestattungsformen bei einer sich auch deutlich verändernden Bestattungskultur ergaben sich durchaus sehr komplexe Fragen, z. B. hinsichtlich möglicher Gefahren für die Gesundheit bzw. Belastungen für Boden und Trinkwasser. Über die Frage, wann z. B. die Voraussetzungen für eine sarglose Bestattung gegeben sind, und die entsprechende Genehmigung soll nach Willen des Ausschusses wie bisher die örtlich zuständige Gemeinde entscheiden.
Es ging in den Beratungen auch um die Fragen, ob nach einer Einäscherung die Urne zu Hause auf-gestellt oder die Asche verstreut werden darf bzw. ob Ascheanteile in Schmuckstücken verarbeitet werden dürfen. Beispielsweise in Bremen ist das möglich, und dieses Thema greift ja die FDP im vorgelegten Änderungsantrag wieder auf. Ich will deutlich sagen, derartige Ansinnen der oder des engsten Angehörigen sind für uns emotional durchaus nachvollziehbar. Aber wir haben uns natürlich auch die Frage gestellt, was eigentlich passiert, wenn dieser Angehörige selbst nicht mehr da ist. Landet dann die Urne in der Mülltonne bzw. wer kontrolliert, dass das nicht der Fall ist?
Die übergroße Zahl der Verbände hat in der mündlichen Anhörung bei diesen Fragen die Wahrung der Totenruhe als übergeordnetes Kriterium angesehen. Dieser Auffassung haben sich die Regierungsfraktionen angeschlossen.
Meine Damen und Herren, der wirklich entscheidende Grund für den vorliegenden Gesetzentwurf waren allerdings die Krankenhausmorde in Delmenhorst und Oldenburg. Nach Feststellung der Ermittlungsbehörden ist Niels Högel der größte Massenmörder in der Geschichte unseres Bundes-landes. Mehr als 100 Morde an Krankenhauspatienten konnten ihm nachgewiesen werden. Es könnten durchaus mehr als doppelt so viele gewesen sind, wenn man allein bedenkt, dass z. B. bei erfolgten Feuerbestattungen dies nicht mehr nach-vollziehbar ist.
Im Herbst dieses Jahres - ich glaube, im Oktober - wird in Oldenburg ein weiterer und mit Sicherheit unter großer öffentlicher Beachtung stehender Prozess gegen den bereits zu lebenslänglicher Haft Verurteilten durchgeführt.
Högel hatte kein Opferprofil. Er tötete wahllos - alt, jung, Mann, Frau. Er spritzte seinen Opfern u. a. ein Medikament, das zum Kreislaufversagen führte, damit er dann bei der Reanimation brillieren konnte.
Unser Landtag hatte sich 2015 und 2016 in einem Sonderausschuss intensiv mit den Vorgängen um diese Mordserie befasst. Uns war damals und ist heute klar, dass es im Gesundheitswesen schon immer Gewaltverbrechen gegeben hat und vermutlich auch immer geben wird. Dennoch hat der Sonderausschuss in seinem Abschlussbericht Möglichkeiten aufgezeigt, um solche Verbrechen weitgehend zu minimieren bzw. solche Taten früh-zeitig erkennbar zu machen.
Wir haben versucht, diesem Anspruch mit der Gesetzesnovelle nachzukommen. Zukünftig werden z.B. die Meldetatbestände für die den Tod feststellenden Ärzte - das betrifft die sogenannte Leichen-schau - deutlich erweitert. Sie müssen die Staats-anwaltschaft bzw. die Polizei zukünftig unterrichten, z. B. bei Anhaltspunkten für einen Selbstmord, bei Anhaltspunkten für eine ärztliche bzw. pflegerische Fehlbehandlung - das zweite ist neu -, wenn der Tod während oder innerhalb von 24 Stunden nach einer Operation eingetreten ist, wenn die Todesursache nicht klar ist und wenn es sich um ein Kind von unter 14 Jahren handelt. Kommt die Staatsanwaltschaft dann zu dem Ergebnis, dass ein Gewaltverbrechen vorliegen könnte, so ordnet sie wie bisher die gerichtsmedizinische Obduktion an.
Das Gesetz legt ferner fest, unter welchen Voraussetzungen und durch welche Fachärzte klinische Leichenöffnungen vorgenommen werden müssen. Es legt außerdem die Tatbestände fest, bei denen eine Amtsärztin oder ein Amtsarzt auch ohne Einwilligung eine Leichenöffnung anordnen kann, z. B. bei einem Kind unter sechs Jahren, wenn die Todesursache nicht zweifelsfrei feststeht. Uns ist bewusst, dass wir mit diesem Tatbestand juristisches Neuland betreten. Es ist aber eine Möglichkeit, Kindesmisshandlungen mit Todesfolge im Nachhinein zu ermitteln.
Meine Damen und Herren, neben etlichen weiteren Änderungen haben wir auch eine Anregung von „terre des hommes“ übernommen. Wie Sie wissen, werden viele der hier benutzten Grabsteine aus Naturstein hergestellt, der in der Regel importiert wird. Zukünftig soll in kommunalen Friedhofssatzungen festgelegt werden können, dass nur solche Natursteine aufgestellt werden dürfen, bei denen nachgewiesen bzw. zertifiziert wird, dass sie nicht durch Kinderarbeit entstanden sind.
Meine Damen und Herren, ich finde, der Sozialausschuss hat gemeinsam sehr konzentriert und zielorientiert an diesem Gesetz gearbeitet. Dafür meinen herzlichen Dank an alle Kolleginnen und Kollegen!
Zwischenzeitlich haben wir ebenfalls mit der Überarbeitung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes begonnen, dessen geplante Änderungen wiederum überwiegend im Zusammenhang mit der Krankenhausmordserie stehen.
Ich bin mir sicher, dass sich ein Vorgang wie der Fall Högel mit diesen Gesetzesänderungen nicht wiederholen kann. Er wäre zumindest deutlich früher aufgeflogen. Es wäre sicherlich nicht allen, aber vielen Menschen das Leben gerettet worden.
Von daher bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
UN-Behindertenrechtskonvention endlich umsetzen – niedersächsischen Aktionsplan jetzt verabschieden und NBGG anpassen!
während der Plenarsitzung vom 01.03.2017 im Niedersächsischen Landtag
Anrede,
der vorliegende Antrag der CDU wurde in acht Sitzungen des Fachausschusses intensiv beraten.
Am 3.11.2016 haben der zuständige Abteilungsleiter und die Landesbeauftragte Frau Wontorra umfassend die Entstehungsgeschichte und den Sachstand zum niedersächsischen Aktionsplan für Menschen mit Behinderungen im Ausschuss erläutert.
Am 6.1.2017 hat sich abschließend das Landeskabinett mit dem Aktionsplan 2017/2018 beschäftigt, und am 25.1.2017 wurde dieser in einer großen Veranstaltung öffentlich vorgestellt.
Spätestens da hätte auch der CDU klar sein können:
- dass sie sich mal wieder hinter den fahrenden Zug geschmissen hat,
- ihr Antrag erledigt ist
- und einfach nur zurückgezogen werden müsste.
Aber weit gefehlt – die CDU bestätigt in ihrem heutigen Änderungsantrag sogar den Termin der Kabinettsentscheidung und fordert dennoch, dass Maßnahmen festzulegen sein.
Der in Handlungsfelder unterteilte Aktionsplan beschreibt auf 55 Seiten die Aufgaben, und welches Ministerium für die Umsetzung bis 2018 zuständig ist. Mehr geht nun wirklich nicht, aber jeder blamiert sich eben, so gut er kann, und das ist ausdrücklich auch der CDU-Fraktion zugestanden.
Im zweiten Punkt fordert die CDU, bei der Umsetzung die Verbände und Betroffenen in die laufenden Prozesse einzubeziehen.
1. Ist die Einbeziehung Betroffener eine verpflichtende Vorgabe der UN-BRK
und
2. hat die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Frau Wontorra, dazu in der öffentlichen Sitzung des Fachausschusses am 3.11.2016 ausgeführt: „Es sichergestellt, dass die folgenden Schritte der Umsetzung in einem Prozess geschehen werden, indem die unmittelbare Partizipation der Menschen mit Behinderungen erfolgt. Dazu wird es eine Begleitgruppe geben, in der Vertreterinnen und Vertreter des Landesbehindertenbeirates und ich in meiner Funktion als Landesbeauftragte aktiv mitarbeiten.“
Für Lesekundige ist das auch im Aktionsplan selber nochmal beschrieben, sodass auch der zweite Punkt der CDU erledigt ist.
In Ihrem dritten und letzten Punkt fordern Sie die Anpassung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes und stellen fest:sieben Jahren nach Inkrafttreten der UN-BRK lässt die Gesetzesnovellierung immer noch auf sich warten.
Das ist wirklich ein Ding aus dem Tollhaus!
Erstens stimmt das nicht. Wir haben am 28.3.2014 eine von SPD und Grünen eingebrachte Gesetzesänderung beschlossen.
In Kenntnis der Tatsache, dass Ende 2014 unser langjähriger Beauftragter für Menschen mit Behinderungen, Karl Finke, in den Ruhestand gehen würde, haben wir auf Vorschlag des Landesbehindertenbeirates das Gesetz dahingehend geändert, dass bei der Besetzung dieser wichtigen Aufgabe dem Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen ein Vorschlagsrecht eingeräumt wurde und dass der Beirat vor der endgültigen Bestellung durch die Landesregierung gehört werden muss.
Exakt im Sinne der UN-BRK „Nichts über uns - ohne uns“, haben wir das Gesetz geändert, und so ist auch die Berufung unserer heutigen Beauftragten Petra Wontorra erfolgt, der ich von dieser Stelle für ihre Arbeit ausdrücklich einmal danken will.
Zweitens, wenn die CDU von sieben vergangenen Jahren spricht, darf ich daran erinnern, dass die UN-BRK Anfang 2009 in Kraft getreten ist und die CDU bis 2013 die Regierung gestellt hat, also in fünf von diesen sieben Jahren.
Wenn Sie sich nun selber nachträglich für Ihre Untätigkeit beschimpfen wollen, habe ich damit aber kein Problem!
Als die CDU mit Ministerpräsident Wulff 2003 die Regierung übernommen hatte, lag aus der vorausgegangenen Legislaturperiode noch die Verabschiedung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes im Parlament.
In einem vertraulichen Vermerk der Wulff-Regierung (vom 8.11.2005) hieß es damals:
„Das Behindertengleichstellungsgesetz solle nur noch grundsätzlich für die Landesverwaltung gelten und auf alle strittigen Regelungen verzichten“.
Mit diesem Vermerk in der Tasche hat die Wulff-Regierung die Verabschiedung des Gesetzes bis November 2008 hinausgezögert, also fünf Jahre lang.
So sah der Umgang mit behinderten Menschen unter der Vorgängerregierung aus, und das nicht nur einmal! Für Belehrungen bei diesem Thema ist diese CDU jedenfalls gänzlich ungeeignet.
Das dann endlich verabschiedete Behindertengleichstellungsgesetz sah im § 15 übrigens eine Überprüfung des Gesetzes bis zum 31.12.2010 vor!
Spätestens bis zu diesem Zeitpunkt hätte die CDU-Regierung einen Aktionsplan bzw. Handlungsplan zur Umsetzung der UN-BRK vorlegen müssen.
Wieder Fehlanzeige.
Ende 2011, nach einem Jahr Verzögerung, benötigte der damalige Ministerpräsident McAllister (einige können sich an ihn ja noch erinnern) immerhin satte 102 Seiten, um der staunenden Öffentlichkeit zu verkünden, dass das Gesetz so toll sei, dass seine Landesregierung überhaupt keine Notwendigkeit für eine Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes sehen würde.
Für Ungläubige empfehle ich die Drucksache 16/3900 zum Nachlesen.
Dass nun ausgerechnet eine CDU, die in ihrer Regierungszeit schriftlich dokumentiert hat, dass sie eine Änderung des Gesetzes für überflüssig hält, uns das als Versäumnis vorwirft, ist wirklich eine Unverfrorenheit.
Ihr Pech, dass ich, – solange hier bin – dass ich mich daran erinnern kann.
Durch die jetzige Landesregierung wurde auf breiter Basis mit persönlich Betroffenen, als Experten in eigener Sache, der im Januar vorgelegte Aktionsplan erarbeitet.
Ja, vielleicht hätte es noch etwas schneller gehen können, aber dafür war die Form der Beteiligung bisher bundesweit einmalig, und darauf können alle Mitwirkenden wirklich stolz sein.
Nun kann und wird es an die – von uns nie in Frage gestellte – Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes gehen. Das unterscheidet uns substanziell sehr deutlich von der Vorgängerregierung.
Sie stehen ja noch nicht einmal zu der von Ihnen eingeführten ersten Inklusionsstufe an den Schulen, sondern versuchen selbst dieses Thema für wahltaktische Spielchen zu nutzen
Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen wird von dieser Landesregierung und den sie tragenden Koalitionsfraktionen erstens sehr ernst genommen, und zweitens nachweislich Zug um Zug umgesetzt.
Das wird auch nach der Landtagswahl 2018 so bleiben.
Bundesteilhabegesetz zum Fortschritt für Menschen mit Behinderungen machen
während der Plenarsitzung vom 22.11.2016 im Niedersächsischen Landtag
Anrede
Ich bin immer wieder erstaunt (erschüttert), wie schwer sich unser reiches Deutschland bei der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen tut. Es ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, dass die betroffenen Menschen selbst bestimmen können, wie sie leben, wohnen, arbeiten oder ihre Freizeit verbringen wollen.
Anders als bei der Berücksichtigung von Gleichstellungsgesichtspunkten von Frauen ist es auch noch immer keine Selbstverständlichkeit, dass wir bei politischen Planungen und Vorhaben automatisch abfragen, ob dabei die Belange von behinderten Menschen berücksichtigt wurden.
Und dabei geht es nicht immer nur um Geld, sondern es fehlt schlicht eine entsprechend verinnerlichte Grundeinstellung, unabhängig ob Kommune, Land oder Bund.
Vielmehr versuchen wir wechselseitig sogar politisch Kapital daraus zu schlagen, wenn ich an die Glaubenskriege allein im Bildungssektor denke.
Für die Betroffenen sind die Folgewirkungen schon allein hinsichtlich einer breiten Bewusstseinsveränderung katastrophal.
Daran hat auch die seit 2009 geltende UN-Behindertenrechtskonvention bisher nur wenig geändert.
Dabei geht es um über 13 Millionen betroffene Menschen, die bundesweit behindert sind, acht Millionen davon schwerbehindert.
Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD hat nach einer jahrzehntelangen Debatte ein neues Bundesteilhabegesetz vorgelegt. Damit soll ein modernes Teilhaberecht geschaffen werden und betroffene Menschen nicht mehr automatisch in die Sozialhilfe abrutschen.
Wir unterstützen dieses Vorhaben uneingeschränkt. Es stellt einen wichtigen, längst überfälligen Quantensprung zu einem zeitgemäßen Teilhaberecht dar.
Bei intensiver Betrachtung des Gesetzentwurfes mussten wir aber bei einigen Punkten feststellen: Gut gemeint ist nicht in allen Bereichen gleichbedeutend mit gut gemacht.
Die heute vorliegenden Änderungsvorschläge wurden von allen Fraktionen gemeinsam erarbeitetet. Sie sollen dazu beitragen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Bundesrat noch deutlich zu verbessern.
1. Das neue Gesetz muss die Leistungen für die Betroffenen verbessern und darf nicht zu faktischen Leistungskürzungen führen, was insbesondere von geistig Behinderten befürchtet wird.
2. Das Wunsch- und Wahlrecht darf nicht eingeschränkt werden.
Die Betroffenen müssen selber entscheiden können, ob sie ambulante oder stationäre Leistungen, Einzel- oder Gemeinschaftsleistungen bevorzugen.
3. Mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben.
- Werkstattbeschäftigte brauchen mehr Wahlmöglichkeiten, wie zum Beispiel das vorgesehene Budget für Arbeit, um auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können.
- Andere Leistungsanbieter müssen die gleichen Qualitätsstandards erfüllen, wie die Werkstätten für behinderte Menschen (WfBM).
- Die Ausgleichsabgabe für Unternehmen muss deutlich erhöht werden, um das Freikaufen von der Beschäftigung behinderter Menschen deutlich einzuschränken.
4. Die Festlegung des Nachteilsausgleichs kann niemals landesspezifische Gründe haben. Deshalb brauchen wir ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsverfahren.
5. Daher fordern wir auch ein Bundesteilhabegeld, in dem endlich auch die unterschiedlich hohen Landesblindengelder aufgehen.
6. Die neuen Vermögensanrechnungen bzw. der vollständige Wegfall der Anrechnung des Vermögens und Einkommens einer Partnerin oder Partners können nur ein erster Schritt sein. Mit der nächsten Stufe sollte darauf voll- ständig verzichtet werden. Behindert zu sein darf nicht arm machen!
7. Die vorgesehene Nachrangigkeit der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflegeversicherung ist nicht nachvollziehbar.
Die Leistungen ergänzen sich vielmehr und können sich nicht gegenseitig ausschließen, zumal die Pflegeversicherung nur eine Teilabsicherung darstellt.
8. Mit dem neuen Teilhaberecht und der Fortentwicklung im Sinne der UNBRK ist eine dauerhafte Kostenbeteiligung des Bundes notwendig. Hierbei handelt es sich nicht um eine länderspezifische Aufgabe, sondern um eine gesamtstaatliche Aufgabe.
9. Menschen mit Behinderungen müssen gleichberechtigten Zugang zur Bildung haben. Dieses gilt auch für den zweiten Bildungsweg, berufliche Neuorientierung oder Praktika.
Der vorliegende Antrag zeigt noch weiteren Ergänzungs- und Änderungsbedarf am Bundesgesetz auf.
Wir hoffen, dass die Landesregierung – auch im Einklang mit anderen Bundesländern – im Sinne der Betroffenen Änderungen im Bundesrat erzielen wird.
Unser einstimmiger Beschluss ist jedenfalls ein starkes und beispielhaftes Signal in Richtung Bund für einen erfolgreichen und notwendigen Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderungen.
während der Plenarsitzung vom 26.10.2016 im Niedersächsischen Landtag
Anrede
Die deutsche Sozialversicherung hat ihren Ursprung in der kaiserlichen Botschaft 17.11.1881 (Wilhelm I.) und der nachfolgenden Sozialgesetzgebung unter dem Reichskanzler Otto von Bismarck.
Bismarck hatte vorgeschlagen, u.a. eine finanzielle Absicherung der Arbeiter gegen Krankheit, Unfall und Invalidität zu verabschieden. Eine der historischen Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung.
1884 trat die GKV in Kraft und damit:
- die Trennung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung,
- die Entstehung der Krankenkassenlandschaft,
- die Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung (ein Drittel Arbeitgeber und zwei Drittel Arbeitnehmer)
1969 wurde dann unter Bundeskanzler Willy Brandt durch die sozialliberale Koalition für die ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit die Lohnfortzahlung eingeführt und zur Entlastung für kleine Betriebe zeitgleich für diese eine Lohnfortzahlungsversicherung.
Die paritätische Finanzierung der Lasten und die paritätischen Entscheidungen in den Selbstverwaltungsorganen der meisten Sozialversicherungsträger machten von Anfang an Sinn.
Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber haben ein hohes, wechselseitiges Interesse an gesunden und leistungsfähigen Beschäftigten. Insofern ist die Kostenteilung keine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern ein fairer Interessenausgleich.
Unsere gesetzliche Krankenversicherung gilt weltweit, trotz aller regelmäßigen Reformnotwendigkeiten, als eines der leistungsfähigsten und gerechtesten Absicherungssysteme, das übrigens zu Recht.
Mit der Einführung eines einseitigen Krankenkassen-Sonderbeitrages für Versicherte zum 1.7.2005 in Höhe von 0,9 Prozent, und des Gesundheitsfonds 2009 wurde die paritätische Finanzierung faktisch abgeschafft.
Nur scheinbar wurde 2015 die paritätische Finanzierung durch die GroKo wiederhergestellt.
Zwar wurde der einseitige Sonderbeitrag für die Versicherten wieder abgeschafft, gleichzeitig aber ein bundeseinheitlicher Krankenkassenbeitrag von 14,6 Prozent gesetzlich festgeschrieben und der Arbeitgeberanteil bei 7,3 Prozent eingefroren.
Krankenkassen, die damit nicht auskommen, müssen seither Zusatzbeiträge einseitig von ihren Versicherten fordern. Seit 2016 schwankt dieser Zusatzbeitrag je nach Krankenkasse zwischen 1 bis 1,5 Prozent.
Das ist übrigens die Einführung der von der CDU seit Jahren geforderten sogenannten Kopfpauschale durch die Hintertür. Horst Seehofer hatte den CDU-Parteitagsbeschluss schon 2003 schlicht als „Schwachsinn“ bezeichnet. Die Arbeitgeberbeiträge sollten damals bei 6,5 Prozent eingefroren werden.
Faktisch sind es heute 7,3 Prozent, und die gesetzlich Versicherten tragen alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein. Das trifft immerhin 90 Prozent unserer Bevölkerung.
„Wettbewerb zu Gunsten von Versicherten und Patienten“ nannte die CDU damals in ihrem Parteitagsbeschluss.
Die wirtschaftspolitischen Sprecher der CDU/CSU aus den einzelnen Bundesländern haben gerade vor zwei Tagen in ihrer „Wilhelmshavener Erklärung“ u. a. beschlossen:
„Bei der Finanzierung der Krankenkassen ist eine Dämpfung des Kostenanstiegs durch mehr Wettbewerb, Eigenverantwortung, Effizienzorientierung und Nutzen-bewertung notwendig.“
Immer die gleichen Worthülsen von Wettbewerb und Eigenverantwortung.
Ich halte das zwischenzeitlich für blanken Zynismus.
- Gesundheit ist keine Ware, sondern ein Kernbereich staatlicher Daseinsvorsorge.
- Wettbewerb im Gesundheitswesen hat bisher nicht kostenmindernd, sondern entweder zu Qualitätsverschlechterungen oder zu Kostensteigerungen geführt (s. Pflege oder USA, wo bis zur Gesundheitsreform von Obama 25 Millionen Menschen überhaupt keinen Schutz hatten, gleichzeitig weltweit das teuerste Gesundheitswesen).
- Kranke Menschen verordnen sich ihre Kassenleistungen nicht selber, sondern in der Regel der Arzt, und das ist auch gut so. Folglich haben Versicherte also gar kein Steuerungsinstrument. Besorgen sie sich selber etwas, tragen sie auch die Kosten allein.
- Wir haben in Deutschland keine Ausgabenexplosion in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Vielmehr beträgt der Anteil der GKV-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit Jahrzehnten zwischen 6,5 und 7 Prozent.
- 2015 waren 210 Milliarden Euro an Ausgaben in der GKV.
- Der Anstieg von Beiträgen hatte und hat andere Faktoren:
- Demografische Entwicklung in einer älter werdenden Gesellschaft
- Medizinischer Fortschritt (bessere Diagnostik, teurere Technik, teurere Medikamente, bessere Heilungschanen bei schweren Erkrankungen)
Niemand von uns möchte darauf verzichten, wenn er selber betroffen ist. - Die Kassen haben Einnahmeprobleme, wenn die Lohnquote sinkt bzw. der Anteil von nicht versicherten Beschäftigungsverhältnissen deutlich steigt (s. Minijobs 2009)
- Versicherte haben ein außerordentliches Kündigungsrecht bei Erhöhung des Zusatzbeitrages und können sich eine günstigere Kasse suchen. Das führt nicht zu mehr Wettbewerb, sondern mindestens mittelfristig zu einer Einheitskasse, was CDU und FDP immer strikt verhindern wollten. Die Welle der Kassenfusionen bestätigt das.
- Wir wollen eine wohnortnahe Versorgung, den Hausarzt und Facharzt um die Ecke. Jedes noch so kleine Krankenhaus soll erhalten bleiben. Nach der dort erbrachten Qualität wird gar nicht erst gefragt. Ein Lied, das die CDU uns gerade bei jeder Krankenhausdiskussion vorsingt. Zuletzt heute Morgen im Sozialausschuss.
- Wenn Sie dann gleichzeitig durch den Kollegen Bley im Sozialausschuss ein „kostengünstigeres Modell“ bzw. Effizienzorientierung und Nutzenbewertung fordern, dann ist das widersprüchlich und unseriös.
Unsere solidarische Krankenversicherung hat sich seit mehr als 130 Jahren bewährt. Die paritätische Lastenverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitneh-mern ist dabei Kernelement unserer Sozialversicherung und unserer sozialstaatlichen Daseinsvorsorge.
Wenn die CDU sich mehr am Bundesvorsitzenden ihres Arbeitnehmerflügels, statt am Wirtschaftsflügel, orientieren würde, dann könnten wir diesen Beschluss heute mit großer Mehrheit fassen.
Mit Herrn Staatssekretär Laumann sind wir uns bei diesem Thema jedenfalls eini-ger, als seiner hiesigen CDU-Landtagsfraktion.
Wir fordern die vollständige Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung in der GKV durch den Bund und endlich die Weiterentwicklung zu einer Bürgerversicherung.
während der Plenarsitzung vom 16.09.2016 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Fast 10 Prozent unserer Bevölkerung sind in Deutschland schwerbehindert. Bundesweit also knapp 8 Millionen Menschen, in Niedersachsen 800.000 Mitbürgerinnen und Mitbürger. Die wichtigste gesetzliche Grundlage der staatlichen Hilfestellung für Menschen mit Behinderungen ist die sogenannte Eingliederungshilfe. Die Zahl der Leistungsempfänger steigt seit Jahren steil an. 15 Milliarden Euro werden zwischenzeitlich aus Steuermitteln bundesweit aufgebracht.
Die finanziellen Lastenverteilungen sind dabei in den Bundesländern sehr unter- schiedlich geregelt. In Niedersachsen noch mit dem sogenannten „Quotalen Sys- tem“. Eine Kostenteilung zwischen dem Land und den Kommunen, dabei ist das Land für stationäre Hilfen zuständig, die Kommunen für ambulante Hilfen. Das, was mal mit einer nahezu 50 Prozent Kostenteilung begann, hat sich zu einer Verteilung von 80 Prozent Land:20 Prozent Kommunen in Niedersachsen entwickelt.
Trotz großer Summen können Menschen mit Behinderungen häufig aber immer noch nicht selbst bestimmen, wie sie leben, wohnen, arbeiten oder den Tag verbringen wollen.
Diese indirekte oder direkte Entmündigung verstößt nicht nur gegen unsere Ver- fassung und die seit 2009 geltende UN-Behindertenrechtskonvention, sondern sie ist eine Verletzung von Menschenrechten.
Um dem Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe deutlich schneller näher zu kommen, haben Bund und Ländern bereits 2003 vereinbart, die Gesamtthematik auf- zuarbeiten und zeitgemäße Lösungen zu entwickeln.
Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Grundlagen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen durch ein neues Bundesteilhabegesetz zu ersetzen.
Die Bundesländer haben dieses Vorhaben in der 92. ASMK am 18./19. November 2015 erneut ausdrücklich unterstützt und die Vorlage des Gesetzentwurfes begrüßt.
Betroffene Menschen, deren Familien, und die sie unterstützende Organisationen und Verbände haben zu Recht große Hoffnungen in das neue Gesetz gelegt.
Folgende Ziele sollen unter Beachtung der der UN-BRK mit dem Gesetz verwirklicht werden:
– Ein neuer Behinderungsbegriff, welcher dem neuen gesellschaftlichen Ver- ständnis einer inklusiven Gesellschaft Rechnung trägt.
– Leistungen wie aus einer Hand, um Doppeluntersuchungen, Zuständigkeitskonflikte nicht auf dem Rücken von Betroffenen auszutragen und Doppelbegutachtungen zu vermeiden.
– Die besonders schweren Beeinträchtigungen von taubblinden Menschen end- lich zu berücksichtigen.
– Die Gewährleistung des Wunsch- und Wahlrechts.
– Die Schaffung bundeseinheitlicher Verfahren zur Bedarfsermittlung.
– Die Bereitstellung einer trägerunabhängigen Beratung.
– Die Sicherstellung persönlicher Assistenzen.
– Die Herausnahme der Eingliederungshilfe aus der Fürsorge.
– Damit verbunden die sukzessive Freistellung von der Einkommens- und Vermögensanrechnung.
Das sind nur einige Zielsetzungen, und insbesondere die beiden letzten Punkte sind bisher für betroffene Menschen hochgradig diskriminierend.
Behindert darf nicht gleichgestellt sein mit Sozialhilfeempfänger nach dem alten Fürsorgeprinzip. Was gleichzeitig bedeutet, dass man nur dann Leistungen bekommt, wenn man nahezu mittellos ist. Lediglich ein sogenanntes Schonvermögen von bis zu 2.600 Euro darf man besitzen, wobei das „Vermögen“ von Angehörigen voll angerechnet wird.
Hier sieht das neue Recht vor, dass das Vermögen von Ehrpartnern nicht mehr angerechnet wird und das Schonvermögen für die Betroffenen auf 50.000 Euro angehoben wird.
Das ist ein großer, wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Bei intensiver Betrachtung des Gesetzentwurfes müssen wir aber bei einigen Punkten feststellen: Gut gemeint ist nicht immer gleichbedeutend mit gut ge- macht.
So gibt es zurzeit viel Kritik aus den Verbänden an einzelnen Vorschriften, z. B. von der Lebenshilfe und ihrer Bundesvorsitzenden und früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.
Folgende Kernpunkte der Kritik kristallisieren sich dabei heraus:
1. Das neue Gesetz stärkt die Wunsch- und Wahlrechte nicht, sondern schreibt defizitäre Regelungen der Sozialhilfe fort. Z. B. beim Wohnen, insbesondere in der eigenen Wohnung, darf es keine Verschlechterungen geben.
2. Das neue Gesetz muss Leistungen für Betroffenen verbessern und nicht zu faktischen Leistungskürzungen führen.
Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in fünf von neun Lebensbereichen bestehen muss.
Das ist umso problematischer, als bei Personen ohne wesentliche Behinderung bisherige Ermessensleistungen gestrichen werden sollen.
3. Mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben.
– Mitbestimmungsrechte für Beschäftigte in einer Werkstatt müssen ausgebaut werden.
– Werkstattbeschäftigte brauchen mehr Wahlmöglichkeiten, wie zum Beispiel das vorgesehene Budget für Arbeit, um auch auf dem allgemeinen Arbeits- markt arbeiten zu können.
– Vor allem aber muss die Ausgleichsabgabe für Unternehmen deutlich erhöht werden, die sich immer noch von der Beschäftigung behinderter Menschen freikaufen. 320 Euro im Monat setzen hier zu wenig Anreize, um dieses rechtswidrige Verhalten zu ändern.
4. Die Nachrangigkeit der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflegeversicherung ist nicht begründbar.
Die Leistungen ergänzen sich vielmehr und können sich nicht gegenseitig auszuschließen, zumal die Pflegeversicherung nur eine Teilkaskoversicherung ist.
5. Die Eingliederungshilfe muss endlich auch für die Blindenhilfe gelten. Die Beibehaltung des sehr unterschiedlichen Landesblindengeldes anstelle eines einheitlichen Teilhabegeldes bedeutet weiterhin eine massive Benach- teiligung von blinden und sehbehinderten Menschen. Eine bundeseinheitliche gerechte Blindengeldlösung ist zwingend erforderlich.
6. Die erneut nicht vorgesehene Anerkennung der besonders schwerwiegenden Behinderung der Taubblindheit als Behinderung eigener Art ist nicht akzeptabel. Ich erinnere hier an unsere gemeinsame Landtagsentschließung zu diesem Thema.
Die unbefriedigenden Punkte ließen sich noch fortsetzen und die Bundesländer haben sich hier auch bereits sehr deutlich gegenüber der Bundesregierung äußert.
Meine Damen und Herren,
damit hier keine Missverständnisse aufkommen, wir wollen die Verabschiedung dieses Gesetzes im Bundestag noch in dieser Legislaturperiode nicht verhindern. Es ist ein Verdienst der großen Koalition, dass dieser Gesetzentwurf nach einer 15-jährigen Debatte endlich auf der Agenda steht. Deshalb verstehen wir den Antrag der CDU, die bisherigen Interventionen der Landesregierung und diese Debatte als konstruktiven Beitrag, eine deutliche Verbesserung des Gesetzesentwurfes im Interesse der betroffenen Menschen zu erreichen.
Diese haben nicht nur nach unserer Verfassung einen Anspruch auf gleichberechtige Teilhabe, sondern endlich auch einen Anspruch auf Umsetzung in der Realität.
während der Plenarsitzung vom 15.09.2016 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Wir hatten am 8.6.2016 hier einstimmig den Abschlussbericht des Sonderaus-schusses „Stärkung des Patientenschutzes und der Patientensicherheit“ zur Kenntnis genommen.
Anlass waren die Massenmorde des ehemaligen Krankenpflegers Niels Högl im Krankenhaus Delmenhorst, und wie sich zwischenzeitlich bestätigt hat, auch im Oldenburger Klinikum.
Wir waren uns einig, dass solche Morde auch in Zukunft nicht verhindert werden können, aber dass wir alles unternehmen müssen, um mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln solche Verbrechen deutlich zu minimieren.
Nach dem von uns gemeinsam vorgelegten Bericht können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Gefordert sind nach unserer Auffassung als Bundes- und auch Landesebene schnellstens die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und ggf. gesetzgeberische Maßnahmen einzuleiten.
Genau das haben wir als rot-grüne Koalition mit zeitgleich am 8.6.2016 einge-brachten und heute zur Abstimmung stehenden Antrag getan. Wir waren und sind der Auffassung, dass wir dieses den Opfern und deren Angehörigen schuldigt sind.
Wir haben in unserem Antrag ausschließlich Eins-zu-Eins-Punkte übernommen, die wir gemeinsam im Abschlussbericht festgestellt hatten.
Von daher waren wir schon sehr irritiert und erstaunt, als die CDU bei den Aus-schussberatungen am 11.8.2016 auf einmal Anhörungen wollte, was die Be-schlussfassung deutlich verzögert hätte.
Wir hatten im Sonderausschuss monatelang Anhörungen. Es macht für uns überhaupt keinen Sinn, die daraus gewonnenen und gemeinsam formulierten Forde-rungen nun schon wieder durch eine weitere Anhörung in Frage zu stellen.
Zwei wesentliche Änderungen haben wir schon letztes Jahr umgesetzt:
1. Seit 1.1.2016 müssen alle Krankenhäuser verpflichtend „Patientenfürsprecher“ haben. Diese Funktion ist mit einer externen, unabhängigen und ehren-amtlich tätigen Person zu besetzen, an die sich Patientinnen und Patienten sowie Angehörige im Konfliktfall wenden können. 161 von 182 Krankenhäusern, also knapp 90 Prozent, haben das schon umgesetzt. Ein erfreuliches Zeichen der hohen Akzeptanz bei unseren Krankenhäusern.
2. Seit dem 1.7. dieses Jahres hat Niedersachsen als zweites deutsches Flächenland hinter Nordrhein-Westfalen einen Landesbeauftragten für Patientenschutz. Wir betreten damit Neuland.
Mit Dr. Peter Wüst konnte allerdings eine Persönlichkeit gewonnen werden, die Verwaltungserfahrung hat, über das Sozialministerium gut vernetzt ist und als Mediziner beste Voraussetzungen für diese Funktion mitbringt. Wir wün-schen ihm viel Erfolg für diese wichtige Aufgabe.
Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Landesregierung zu deutlichen Ergänzungen im Niedersächsischen Krankenhausgesetz und auch Bestattungsgesetz auf. So wollen wir in allen niedersächsischen Krankenhäusern die Einstellung von Stationsapothekerinnen und Stationsapotheker verpflichtend vorsehen.
Nur noch 28 von 182 Krankenhäusern haben bei uns eigene Krankenhausapotheken. Alle anderen Häuser lassen sich extern beliefern. Dadurch erhöht sich die Schwierigkeit, ungewöhnliche Verwendungsweisen von Medikamenten frühzeitig zu entdecken. Krankenhäuser, die bisher auf freiwilliger Basis Stationsapotheker eingeführt haben, haben damit positive Erfahrungen gemacht.
Die Stationsapotheker sind für das Personal auf den Stationen beratend tätig, um dort die Medikamentenabgabe zu begleiten bzw. zu unterstützen. Sie werden eine zentrale Schnittstelle zwischen der Arzneimittelbelieferung und den Abläufen auf einer Station sein und so die Arzneimittelsicherheit wesentlich verbessern.
Krankenhäuser sollen ferner verpflichtet werden, eine klinikinterne Arzneimittelkommission einzusetzen.
In Niedersachsen hat die Apothekenkammer die Aufsicht über Apotheken. Da es aber kaum noch Krankenhausapotheken gibt, endet die aufsichtsrechtliche Über-wachung mit der Übergabe der Medikamente an der Krankenhaustür. Diese Soll-bruchstelle müssen wir schließen.
Die Arzneimittelkommission dient zukünftig als Schnittstelle zwischen der Arznei-mittelbelieferung und der jeweiligen Krankenhausstation. Das Klinikum Oldenburg hat nach der Festnahme von Nils Högl von sich aus eine hauseigene Arzneimittel-kommission mit gutem Erfolg eingerichtet.
Krankenhauspersonal, vor allem auf Intensivstationen, ist über Jahre hinweg ho-hen psychischen Belastungen ausgesetzt. Ein Rotationssystem für Pflegekräfte könnte für Entlastung sorgen, und das gibt es bisher an niedersächsischen Kran-kenhäusern nicht. Daher wollen wir gesetzlich die Möglichkeit schaffen, modell-haft neue Organisations- und Personalstrukturen in den Krankenhäusern zu erproben.
Das gilt gleichermaßen für das Angebot, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch ihr Krankenhaus freiwillig regelmäßige begleitete Reflexionen über berufsbedingte Belastungen und Erfahrungen anzubieten, z. B. in Form von Supervision. Auf diese Weise könnten gegebenenfalls frühzeitig Anzeichen für Ermüdung und Tendenzen eines schleichenden Verlusts der Selbstkontrolle erkannt werden.
In allen Krankenhäusern wollen wir außerdem obligatorisch ein anonymes Meldesystem (sog. Whistleblowing) einführen. Dieses ermöglicht Beschäftigten, eventuelle Verdachtsmomente für Fehlverhalten oder gar kriminelles Handeln innerhalb des Krankenhausbetriebes an eine neutrale Stelle zu melden, ohne dass dabei Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden können.
Das MS hat auf Nachfrage der CDU schriftlich bestätigt, dass unter Beachtung von EUGH-Entscheidungen kein Zweifel an der Zulässigkeit entsprechender ge-setzlicher Regelungen besteht. Entscheidend ist die rechtliche Ausgestaltung im Detail.
Im Gesundheitswesen herrscht teilweise ein starker Verdrängungswettbewerb. Hier intern auf mögliches Fehlverhalten oder gar kriminelles Handeln hinzuweisen und eben nicht wegzusehen, kann die Betroffenen in arge Schwierigkeiten bringen. Das haben übrigens die Anhörungen im Sonderausschuss nochmals sehr deutlich unterstrichen. Es gab schon sehr früh Gerüchte und Verdachtsmomente unter den Mitarbeitern über bestimmte Verhaltensweises des später entdeckten Täters.
Bisher gibt es in Krankenhäuser kaum Meldesysteme, und schon gar nicht anonyme. Das wollen wir ändern.
Die Möglichkeit anonymer Meldungen, die nicht zugleich als unkollegiales „Denunzieren“ empfunden werden, kann im Extremfall lebensrettend werden.
Neben diesen sehr gravierenden Änderungen beinhaltet unser Antrag neben weiteren Änderungen im Niedersächsischen Krankenhausgesetz auch die Aufforderung, dass Niedersächsische Bestattungsgesetz zu korrigieren.
So sollen Blutentnahme und -untersuchung künftig obligatorischer Teil einer jeden Leichenschau werden. Im Fall Högl hätte das sehr schnell Aufschluss auf bewusst herbeigeführte Tötungen gegeben.
Findet die Todesfeststellung durch Krankenhausärzte statt, so soll die sogenannte äußere Leichenschau zukünftig auf externe Ärztinnen und Ärzte übertragen werden. Hinsichtlich der bestehenden Meldepflicht bei Hinweisen auf eine möglicherweise unnatürliche Todesursache sollen Ärzte besser entlastet und unterstützt werden. Wir wollen so eine höhere Kontrolldichte und mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten schaffen.
Ich hoffe, dass wir nach den schrecklichen Geschehnissen durch Nils H. diese ersten Handlungsschritte zur Umsetzung von mehr Patientenschutz und Patientensicherheit genauso konstruktiv und zielorientiert auf den Weg bringen, wie unsere Beratungen im Sonderausschuss.
Der war nun zufällig in Niedersachsen unterwegs. Es hätte auch jedes andere Bundesland treffen können.
Es gibt sehr grundsätzliche Probleme in unserem Gesundheitswesen, die durch-aus nicht neu sind. z.B. die der Unterversorgung bestimmter Bereiche, der mangelnden Personalausstattung oder der einzelnen Vergütungssysteme. Die Folgen sind dauerhafte Überlastung von Beschäftigten und hohe Risiken für Patienten.
Bei diesen Fragen ist der Bundesgesetzgeber gefordert.
Wir sind allerdings der Auffassung, dass wir es den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig sind, aus den im Abschlussbericht aufgeführten Erkenntnissen, zu-mindest im eigenen Zuständigkeitsbereich zeitnah Konsequenzen zu ziehen.
während der Plenarsitzung vom 08.06.2016 im Niedersächsischen Landtag
Anrede
Beim vorausgegangenen Punkt haben wir uns gerade mit dem Abschlussbericht des Sonderausschusses „Stärkung des Patientenschutzes und der Patientensicherheit“ befasst.
Wir müssen bei den bereits erwiesenen Morden und der Vielzahl von noch zu untersuchenden Fällen in den Krankenhäusern Delmenhorst und Oldenburg davon ausgehen, dass es sich bei Niels Högel um den bisher größten Massenmörder in der bundesdeutschen Geschichte handelt.
Der war nun zufällig in Niedersachsen unterwegs. Es hätte auch jedes andere Bundesland treffen können. Insofern hat mich die Zurückhaltung und sehr übersichtliche Unterstützung unserer Arbeit im Sonderausschuss durch den Bund bzw. die anderen Bundesländer ziemlich erstaunt und geärgert.
Uns war immer klar, dass wir bei der parlamentarischen Begleitung keine Ermittlungsbehörde sind, und dass wir Gewaltverbrechen in Gesundheitseinrichtungen auch künftig nicht ausschließen können.
Vielmehr ging es um die Frage, ob auf Bundes- und/oder Landesebene gesetzgeberische Maßnahmen notwendig sind, um solche Verbrechern weitgehend zu minimieren.
Wir haben im Rahmen unserer parlamentarischen Möglichkeiten die Vorgänge gemeinsam sehr konstruktiv aufgearbeitet. Der einstimmig vorgelegte Abschlussbericht unterstreicht dies und ist ein wichtiges Signal an alle Beteiligten.
Es sind erneut sehr grundsätzliche Probleme in unserem Gesundheitswesen deutlich geworden, z. B. die Unterversorgung bestimmter Bereiche, die mangelnde Personalausstattung oder einzelne Vergütungssysteme. Die Folgen sind dauerhafte Überlastung von Beschäftigten und hohe Risiken für Patienten. Bei diesen Fragen ist der Bundesgesetzgeber gefordert. Wir sind allerdings der Auffassung, dass wir es den Opfern und den Hinterbliebenen schuldig sind, aus den im Abschlussbericht aufgeführten Erkenntnissen zumindest im eigenen Zuständigkeitsbereich zeitnah Konsequenzen zu ziehen.
Diesem Ziel dient der vorgelegte Antrag von Rot/Grün zur Stärkung der Patientensicherheit und des Patientenschutzes, zunächst durch Änderungen im Niedersächsischen Krankenhausgesetz und Bestattungswesen. Zwei wesentliche Änderungen haben wir schon letztes Jahr auf den Weg gebracht.
1. Seit 01.01.2016 müssen alle Krankenhäuser verpflichtend „Patientenfürsprecher“ haben. Diese Funktion ist mit einer externen, unabhängigen und ehrenamtlich tätigen Person zu besetzen, an die sich Patientinnen und Patienten sowie Angehörige im Konfliktfall wenden können. Eine sehr hohe Anzahl von Kliniken hat diese Vorgabe bereits umgesetzt.
2. Die Schaffung einer oder eines Landespatientenschutzbeauftragten. Nach einer öffentlichen Ausschreibung befindet sich die Berufung derzeit in der Umsetzungsphase.
Damit betritt Niedersachsen Neuland und ist hinter NRW das zweite deutsche Flächenland, dass eine entsprechende Anlaufstelle für Patientinnen und Patienten schafft. Eine Anlaufstelle gleichermaßen für Patientinnen und Patienten, Institutionen und Patientenfürsprechern in den Kliniken.
Mit dem vorliegenden Antrag fordern wir die Landesregierung zu einer weiteren Änderung des Niedersächsischen Krankenhausgesetzes auf.
Unter anderem wollen wir die
Einstellung von Stationsapothekerinnen und Stationsapothekern in allen niedersächsischen Krankenhäusern verpflichtend vorsehen.
In Niedersachsen gibt es bei über 190 Krankenhäusern nur noch 28 Krankenhausapotheken. Alle anderen Häuser lassen sich extern beliefern.
Dadurch erhöht sich die Schwierigkeit, Auffälligkeiten bei der Verwendung von Medikamenten frühzeitig zu entdecken. Stationsapotheker sollen beratend für das ärztliche Personal auf den Stationen tätig werden und die dort jeweils erfolgende Medikamentenabgabe im Sinne einer sachkundigen, medizinischen und pharmakologischen Begleitung unterstützen.
Stationsapothekerinnen und Stationsapotheker werden eine zentrale Schnittstelle zwischen der Arzneimittelbelieferung und den Abläufen auf einer Station und können so die Arzneimittelsicherheit wesentlich verbessern. Krankenhäuser, die bisher auf freiwilliger Basis eine solche Funktion eingerichtet haben, haben damit gute Erfahrungen gemacht.
In Ergänzung eines Stationsapothekers sollen Krankenhäuser ferner verpflichtet werden, eine klinikinterne Arzneimittelkommission einzusetzen.
Die Aufsicht über Apotheken hat in Niedersachsen die Apothekerkammer. Da es aber so gut wie keine Krankenhausapotheken mehr gibt, endet ihre aufsichtsrechtliche Überwachung mit der Übergabe der Medikamente an der Krankenhaustür.
Aufgabe einer klinikinternen Arzneimittelkommission ist es daher, den Bestand, die Ausgabe und Verwendung von Arzneimitteln zu überwachen, und vor allem die strikte Einhaltung der ärztlichen Verordnungen. Die Arzneimittelkommission dient so als Schnittstelle zwischen der Arzneimittelbelieferung und der jeweiligen Krankenhausstation. Das Klinikum Oldenburg hat nach der Festnahme von Niels Högel von sich aus eine hauseigene Arzneimittelkommission mit gutem Erfolg eingerichtet.
Ferner wollen wir die Möglichkeit schaffen, modellhaft neue Organisations- und Personalstrukturen zu erproben.
Wenn Krankenhauspersonal, insbesondere auf Intensivstationen, über Jahre hinweg hohen psychischen Belastungen ausgesetzt ist, benötigen sie zumindest übergangsweise eine Entlastung. Ein Rotationssystem für Pflegekräfte könnte hier für Entlastung sorgen, was es an niedersächsischen Krankenhäusern bisher nicht gibt.
Das gilt gleichermaßen für das vorgesehene Angebot,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch ihre Krankenhäuser regelmäßige begleitete Reflexionen über berufsbedingte Belastungen und Erfahrungen anzubieten, z. B. in Form von Supervision.
Die Teilnahme an derartigen Angeboten ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern freigestellt.
Auf diese Weise könnten gegebenenfalls frühzeitig Anzeichen für Ermüdung und Tendenzen eines schleichenden Verlustes der Selbstkontrolle erkannt werden.
Täter vergangener Tötungsserien in Krankenhäusern waren zumeist am sogenannten „Burnout-Syndrom“ erkrankt, hervorgerufen oder begünstigt durch die enorme Stressbelastung im Beruf.
Meine Damen und Herren
im Gesundheitswesen herrscht teilweise ein starker Verdrängungswettbewerb. Hier intern auf mögliches Fehlverhalten oder gar kriminelles Handeln hinzuweisen und eben nicht wegzusehen, kann die Betroffenen in arge Schwierigkeiten bringen.
Bisher gibt es in Krankenhäuser kaum Meldesysteme und schon gar nicht anonyme. Das wollen wir durch die Einführung eines anonymen Meldesystems (sog. Whistleblowing) in allen Krankenhäusern einführen. Dieses ermöglicht Beschäftigten, eventuell Verdachtsmomente für Fehlverhalten oder gar kriminelles Handeln innerhalb des Krankenhauses an eine neutrale Stelle zu melden, ohne dass dabei Rückschlüsse auf ihre Identität gezogen werden können.
Die Möglichkeit anonymer Meldungen, die nicht zugleich als unkollegiales „Denunzieren“ empfunden werden, kann im Extremfall lebensrettend werden.
Das haben übrigens die Anhörungen im Sonderausschuss nochmals sehr deutlich unterstrichen. Es gab schon sehr früh Gerüchte und Verdachtsmomente unter den Mitarbeitern über bestimmte Verhaltensweisen des später entdeckten Täters.
Neben diesen sehr gravierenden Änderungen beinhaltet unser Antrag neben weiteren Änderungen im Niedersächsischen Krankenhausgesetz auch die Aufforderung, dass Niedersächsische Bestattungsgesetz zu korrigieren.
So sollen Blutentnahme und -untersuchung künftig obligatorischer Teil einer jeden Leichenschau werden. Im Fall Högel hätte das sehr schnell Aufschluss auf bewusst herbeigeführte Tötungen gegeben.
Ich hoffe, dass wir nach den schrecklichen Geschehnissen durch Nils H. diese ersten Handlungsschritte zur Umsetzung von mehr Patientenschutz und Patientensicherheit genauso konstruktiv und zielorientiert auf den Weg bringen, wie unsere Beratungen im Sonderausschuss.
Vielen Dank.
während der Plenarsitzung vom 14.04.2016 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Von dem früheren Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, stammt die Formulierung: Es kommt kein Gesetz so aus dem Bundestag heraus, wie es hineingekommen ist. - Für das vorliegende Niedersächsische Heimgesetz stimmt das nach meiner Auffassung uneingeschränkt.
Seit Anfang Oktober 2015 hat sich der Sozialausschuss durch diesen Entwurf gekämpft. Heute liegt ein erheblich veränderter Gesetzentwurf zur Verabschiedung vor. Einige wenige von uns, die sich noch gut an die außerordentlich komplizierten Beratungen im Jahre 2010 erinnern konnten, hatten dabei sicherlich so etwas wie ein Déjà-vu. Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich dem GBD und den verantwortlichen Mitarbeitern im Sozialministerium für die intensive und schnelle Zuarbeit während dieser Beratungen.
Hinter dem lapidaren Begriff „Heimgesetz“ verbergen sich erhebliche gesellschaftliche Veränderungen, Veränderungen in der Altersstruktur, ein massiver Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen und deutlich veränderte Bedarfe mit Blick auf die Inanspruchnahme von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Dieser Entwicklung wird schon mit der Gesetzesüberschrift Rechnung getragen. Aus dem „alten“ Heim-gesetz wird das Niedersächsische Gesetz über unterstützende Wohnformen.
Fast alle Pflegeheime leisten eine hoch engagierte, tolle Arbeit. Aber mit den klassischen Altersheimen haben sie nichts mehr zu tun. Diese sind allenfalls durch sogenannte Altersresidenzen abgelöst worden - sofern man sie sich leisten kann.
Der Weg ins Heim ist, wenn überhaupt, meistens der letzte Schritt im allerletzten Lebensabschnitt, und er ist im Übrigen selten selbstbestimmt. Nicht selten wird er direkt aus dem Krankenhaus vollzogen, vor allem dann, wenn keine Bezugspersonen mehr da sind, die die Betroffenen betreuen können. Heime übernehmen an dieser Stelle zunehmend die Aufgaben von Hospizen. Daher haben wir auch die Regelungen zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung mit in das Gesetz aufgenommen.
Meine Damen und Herren, die Menschen wollen heute so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung möglichst in der eigenen Wohnung bleiben. Wenn wir uns selber prüfen, dürften wir feststellen, dass das für die meisten von uns genauso zutrifft. Diesen Wunsch und den Grundsatz „ambulant vor stationär“ hat übrigens auch der Bundesgesetzgeber aktuell mit den beiden Pflegestärkungsgesetzen deutlich untermauert.
Neben dem Verbleib in der eigenen Wohnung, unterstützt durch ambulante Pflegedienste, gibt es heute vielfältige alternative Wohnformen im Alter oder auch bei Handicaps, z. B. unzählige Formen des betreuten Wohnens - ein leider immer noch ungeschützter Rechtsbegriff, sodass die Möglichkeit des Wildwuchses und Missbrauches zulasten der Betroffenen besteht. Ich wäre außerordentlich dankbar, wenn der Bundesgesetzgeber hier endlich eine korrigierende Formulierung findet.
Meine Damen und Herren, es gibt unzählige Formen von Wohngemeinschaften: Alten-WGs, ambulant betreute WGs, selbstverwaltete WGs usw. usf. Und es gibt extrem starke Zuwächse bei der Tagespflege. Die Tagespflege ist ein Segen für viele Demenzerkrankte und deren sie zu Hause pflegende Angehörige. Die Aufgaben der Tagespflege unterscheiden sich von den Aufgaben des Heimes nur durch die Tatsache, dass die Bewohner abends wieder nach Hause gehen. Versuchen, im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens der Tagespflege den Schutzauftrag des Gesetzes zu entziehen, haben wir eine klare Absage erteilt. Das haben wir abgelehnt.
Vor dem Hintergrund der Vielfalt unterschiedlicher Betreuungsformen waren wir uns parteiübergreifend sehr schnell einig, dass die Fokussierung auf „das Heim“ nicht mehr zeitgemäß ist und dass die unterschiedlichen Wohnformen gleichberechtigt nebeneinander im Gesetz stehen müssen.
Ich glaube, dass wir diesen Kraftakt gemeinsam gut hinbekommen haben.
Meine Damen und Herren, im Vordergrund des Gesetzes steht die Absicht, den betroffenen Menschen ihre individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen. Dazu gehört insbesondere, die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung sowie die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben innerhalb und außerhalb von Einrichtungen zu sichern zu fördern. Es geht aber auch darum, die fachliche Qualität der Betreuung und des Wohnens zu sichern und die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten.
Der Spagat zwischen dem Schutz der Bewohner auf der einen Seite und ihrer Entmündigung und Gängelung auf der anderen Seite ist sowohl fachlich als auch rechtlich schwierig. Mit dem Gesetz von 2010 hat das seinerzeit nicht hinreichend funktioniert. Ich bin zuversichtlich, dass uns der Balanceakt diesmal gelungen ist. Die von uns nach fünf Jahren vorgesehene Evaluierung wird uns Aufschluss hierüber geben.
Wir haben dieses schwierige Gesetz im Ausschuss gemeinsam konzentriert und zielorientiert beraten, wie es bei uns im Sozialbereich üblich ist. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen.
Die von der CDU in der Schlussberatung übernommene Forderung der kommunalen Spitzenverbände, wonach betreute Wohnformen weder räumlich noch organisatorisch mit einer vollstationären Pflegeeinrichtung verbunden sein dürfen, würde nach unserer Auffassung erstens sehr simple Umgehungstatbestände fördern, und das entspricht zweitens in keiner Weise der Lebenswirklichkeit. Die möglichst lange Selbstständigkeit mit der Möglichkeit der Ergänzung professioneller Hilfe im Bedarfsfall ist die Idealvorstellung vieler Menschen, verbunden auch mit der Vorstellung, im Falle der vollständigen Pflegebedürftigkeit die Bezugspersonen nicht wechseln zu müssen. Das sogenannte Servicewohnen entspricht genau diesen Vorstellungen und ist darüber hinaus für viele Pflegeheime eine wichtige Existenzperspektive. Der CDU-Antrag geht daher nach unserer Auffassung an dieser Stelle ins Leere, bzw. er ist absolut kontraproduktiv und wird von uns abgelehnt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf die erweiterte Präambel des Gesetzes eingehen.
Erstens. Wir wollten und wollen kein modernes Gesetz verabschieden, das eine veraltete Begriffsbestimmung von Menschen mit Behinderungen entgegen der Begriffsformulierung der UN-BRK benutzt. Das stellen wir in der Präambel klar, nachdem der Bund das in seiner uns bindenden Rahmengesetzgebung in den vergangenen fünf Jahren immer noch nicht geheilt hat. Ich finde das problematisch.
Zweitens. Wir erneuern im Gesetz die Festlegung, dass Menschen nicht gegen ihren Willen durch den Betreiber in Mehrbettzimmern untergebracht werden dürfen.
Es gibt leider auch in Niedersachsen immer noch örtliche Sozialhilfeträger, die ausschließlich aus Kostenersparnisgründen Menschen in Mehrbettzimmer zwingen. Wir stellen jetzt zusätzlich in der Präambel klar, dass die in Artikel 1 unseres Grundgesetzes verankerte Menschenwürde von allen Beteiligten zu berücksichtigen ist. Genau darum geht es, meine Damen und Herren: um die Achtung der Menschenwürde im letzten und im allerletzten Lebensabschnitt.
Mit dem vorgelegten ergänzenden Entschließungsantrag beauftragen wir die Landesregierung, sich in diesem Sinne gegenüber dem Bund für eine entsprechende Änderung des SGB XII einzusetzen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ohne Frage eines der großen sozialpolitischen Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode. Gleichzeitig setzt die rot-grüne Koalition einen weiteren zentralen Punkt ihrer Koalitionsvereinbarung um. Ich hoffe, wir machen das heute wie vor sechs Jahren, als wir aus der Opposition heraus die damalige Novelle von CDU und FDP nach intensiven kollegialen Beratungen mitgetragen haben, und freue mich auf Ihre Unterstützung.
während der Plenarsitzung vom 17. Februar 2016 im Niedersächsischen Landtag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
„Wenn aktuell in Deutschland über die Zukunft der Pflege entschieden wird, sitzen alle am Tisch, nur die Pflege, die größte Berufs-gruppe im Gesundheitswesen, nicht. Sie muss sich aber gegenüber den anderen verkammerten Berufsgruppen im Gesundheitswesen durchsetzen können. Nur eine unabhängige Selbstverwaltung, die mit allen Rechten und Pflichten einer eigenverantwortlichen Berufskammer ausgestattet ist, kann die Herausforderungen der Zukunft meistern. Die Berufsangehörigen müssen mitentscheiden können, welche Entwicklung die Pflege in der Zukunft nimmt.“
Meine Damen und Herren, das ist alles richtig. Aber das ist nicht von mir, sondern das ist 1 : 1 die Aussage von Karl-Josef Laumann auf dem Deutschen Pflegetag 2015.
Das ist die Aussage des ehemaligen CDU-Sozial-ministers aus Nordrhein-Westfalen, des gegenwärtigen Bundesvorsitzenden der CDU-Arbeitnehmerschaft und des Pflegebeauftragten der Bundesregierung.
Ähnlich klar äußerte sich Laumann im vergangenen Jahr, im April 2015, auf dem Zukunftsforum der CDU-Niedersachsen in Lingen. Wenn ich die Presse richtig gelesen habe, Herr Hilbers, waren u. a. Sie dort anwesend. Es hätte Ihnen ausgesprochen gut getan, wenn Sie versucht hätten, die eine oder andere Aussage von Herrn Laumann intellektuell zu verarbeiten; denn dann wären wir an dieser Stelle eine ganze Ecke weiter.
Es wäre auch gut, wenn wir uns angucken würden, was bei diesem Thema in anderen Bundesländern passiert. Nehmen Sie z. B. Rheinland-Pfalz. Die dortige Hoffnungsträgerin der CDU, Julia Klöckner, hat sich schon 2012 sehr eindeutig für eine Pflegekammer ausgesprochen. Sehen Sie sich das einmal an! Es gibt etliche Zitate von ihr, warum eine Pflegekammer notwendig ist. Sie ist ganz nahe bei der Argumentation von Herrn Laumann.
Meine Damen und Herren, die Gegner und Befürworter waren übrigens in Rheinland-Pfalz relativ identisch die gleichen wie in Niedersachsen. Trotzdem hat sich dort die Politik nicht auseinanderdividieren lassen. Davon ist die CDU in unserem Land meilenweit entfernt.
Seit 30 Jahren besteht in Niedersachsen die Forderung nach Einführung einer Pflegekammer.
Es gab unzählige Argumente dagegen, auch bei uns. Die Palette ist hier vorgetragen worden: „verfassungswidrig“, „Bürokratieaufwand“, „überflüssig“, „Kammer schließt keine Tarifverträge“, „Pflegefunktionäre wollen hoch dotierte Posten“ usw. Ich frage mich nur, warum diese gleichen Argumente nicht gegen die anderen fünf Heilkammern vorgebracht werden: Psychotherapeuten, Tierärzte, Apotheker, Zahnärzte, Ärzte. Sie zusammen bringen es in Niedersachsen auf 60 000 Mitglieder, davon sind alleine 37 000 Mitglieder in der Ärztekammer. Eine Pflegekammer hingegen als sechste Heilberufskammer in Niedersachsen hätte allein mehr als über 70 000 Mitglieder. Sie wäre mit Abstand die größte Kammer in Niedersachsen.
Herr Hilbers, wenn ich Ihren Argumenten richtig zugehört habe, dann müssten Sie eigentlich die konsequente Forderung stellen, dass wir alle Kammern in Niedersachsen abschaffen. Das wäre die konsequente Aussage.
Wieso ist es eigentlich so selbstverständlich, dass der angestellte Arzt oder die angestellte Zahnärztin Mitglied ihrer berufsständischen Selbstverwaltung ist und über die Kammer daher bei allen wichtigen Entscheidungen mit am Tisch sitzt und die angestellte Krankenschwester oder Altenpflegerin, ohne die die gleichen Mediziner ihre Arbeit überhaupt nicht verrichten könnten, vor der Tür bleibt, wenn Weichenstellung für ihren Beruf fremdbestimmt werden? Dafür gibt es keine einzige Begründung - außer der, dass es schon immer so war.
Natürlich ist die Pflegekammer kein Allheilmittel. Aber wir wollen die Heilberufe auf Augenhöhe. Wir wollen nicht, dass die eine Gruppe sozusagen im Ledersessel am Verhandlungstisch sitzt und die andere, wenn sie Glück hat, auf dem Klappstuhl danebensitzt und immer Angst haben muss, dass ihr einer den Stuhl wegtritt.
Das ist keine Ausgangslage, meine Damen und Herren. Das muss endlich geändert werden. Frau Rundt hat vorhin vorgetragen - ich muss das nicht wiederholen; das weiß im Übrigen jeder; das wissen auch Sie, Herr Hilbers -, welche Aufgabenstellung eine Kammer hat und welche sie nicht hat.
Ich sage Ihnen einmal etwas zu Ihrer Leistungsbilanz. Sie haben ja gesagt, Sie hätten eine glorreiche Leistungsbilanz in der Pflege. Wissen Sie, wie die Leistungsbilanz aussieht? - In diesem Land werden im Jahr 2030 50 000 Pflegekräfte fehlen - nur in Niedersachsen! Das ist Ihre Leistungsbilanz! Sie haben zehn Jahre lang den Laden laufen gelassen und nichts dagegen gehalten, meine Damen und Herren!
Ich habe gerade gesagt, die Pflegekammer ist kein Allheilmittel. Aber sie ist eine Möglichkeit, den Stellenwert der Pflege auch in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich zu steigern.
SPD und Grüne haben im Jahr 2010 ihre ablehnende Haltung zur Pflegekammer aufgegeben. Wir haben entsprechende parlamentarische Initiativen eingebracht, die Sie mit Ihrer Regierungsmehrheit zweieinhalb Jahre lang liegen gelassen haben. Dann haben Sie das gemacht, Herr Hilbers, was Sie zu Recht beschrieben haben: Sie haben eine Umfrage gemacht, die mit einer klaren Zielrichtung und mit möglichst wenig Unterrichtung der Pflege-kräfte vorgelegt wurde, weil Sie mit dieser Umfrage ein Ziel erreichen wollten: Sie wollten erstens über den Wahltermin der Landtagswahl kommen, und Sie wollten zweitens eine klare Ablehnung einer Pflegekammer haben. Das war Ihre Ausgangslage.
Das Ergebnis war deutlich anders. Erstens wurden Sie als Regierung im Januar 2013 abgewählt. Zweitens haben sich die Pflegekräfte mit deutlicher Mehrheit, nämlich mit 67 %, für die Einführung einer Pflegekammer ausgesprochen. SPD und Grüne haben, als sie ihre Koalitionsverhandlungen geführt haben - da lag das Ergebnis noch nicht vor -, festgestellt, dass wir das Ergebnis dieser Umfrage als Richtschnur für das weitere Vorgehen in Sachen Pflegekammer zugrunde legen würden. Das ist eine klare Aussage. Wer angesichts eines so eindeutigen Umfrageergebnisses noch versuchen will, dieses Ergebnis infrage zu stellen oder ins Gegenteil zu verkehren, wie Sie das gerade hier wieder gemacht haben, der hat schon ein verdammt gestörtes Demokratieverständnis, meine Damen und Herren.
Für die Koalition war es von da an selbstverständlich, die Pflegekammer auf den Weg zu bringen. Ehrlich gesagt, bei allen gängigen Vorurteilen gegenüber der Politik erstaunt es mich dann schon immer wieder, wenn sich interessierte Gruppen plötzlich darüber wundern, dass Wahlversprechen tatsächlich eingehalten werden.
Ich finde es in der Tat auch bemerkenswert, wenn Unternehmerverbände, bpa, Wohlfahrtsverbände, Pflegekassen und Gewerkschaften gleichermaßen, aber im Übrigen mit deutlich unterschiedlichen Beweggründen, gegen dieses Gesetz opponieren. Wenn wir genau hinsehen, dann stellen wir fest, dass es sich in den meisten Fällen um Vertreter der Arbeitgeberseite oder der Kostenträger handelt.
Wenn es um die Beschreibung der Probleme in der Pflege geht, dann besteht große Einigkeit. Diese Einigkeit endet schnell, wenn es um Verbandsinteressen, Ausgabensteigerungen oder mögliche Gewinnreduzierungen geht. Als jüngstes Beispiel möchte ich Ihnen die Verhinderung eines Tarifvertrages Soziales für die Auszubildenden durch die Unternehmerseite nennen.
Wir haben jahrzehntelang die Unterbindung von Dumpinglöhnen in der Pflege gefordert, um den weiteren Fachkräfteverlust zu stoppen. Da ringen sich die Diakonie, ver.di und die Wohlfahrtsverbände unter wirklich schwierigsten rechtlichen Bedingungen zu einem Tarifvertrag wenigstens für die Auszubildenden durch, da appelliert dieser Landtag mehrfach parteiübergreifend an die Akteure zum Abschluss dieses Vertrages, und dann kommen die gleichen Unternehmerverbände, die jahrelang die Politik zum Handeln aufforderten, und bringen diesen Tarifvertrag zu Fall. Meine Damen und Herren, das ist ein absolut unwürdiger und im Übrigen unverantwortlicher Vorgang.
Es sind jetzt zum Teil die gleichen Akteure, die nun versuchen, die Pflegekammer wieder zu verhindern, da sie keine Pflegekräfte auf Augenhöhe wollen. Sie fürchten den Machtverlust durch die Errichtung einer mündigen Pflegekammer mit Qualitätsforderungen und im Übrigen auch mit den damit verbundenen höheren Personalkosten. Des-halb sage ich Ihnen: Genau an dieser Stelle wer-den wir dies bei diesem Gesetzentwurf nicht erneut durchgehen lassen.
Es wäre im Übrigen gut, wenn sich die CDU Niedersachsen bei den Sachargumenten an Herrn Laumann, an ihrer stellvertretenden Bundesvorsitzenden Frau Klöckner oder an dem CDA-Beschluss - hier in Hannover auch unter Federführung des Kollegen Matthiesen - orientieren würde. Denn ich glaube nicht, dass sie alle völlig falsch liegen und dass sie alle überhaupt keine Ahnung von dem Thema haben.
Ich finde jedenfalls, dass Landtagspräsident Bernd Busemann völlig recht hatte, als er beim Besuch der Berufsfachschule für Altenpflege in Papenburg feststellte - ich zitiere -: „Lasst uns recht bald in Niedersachsen eine Pflegekammer einrichten. Ich denke, die Zeit ist reif.“
Das sehen auch wir so. Die Zeit dafür ist lange reif. Deshalb machen wir das auch so, meine Damen und Herren.
18.03.15 | Wohnortnahe und flächendeckende Krankenhausversorgung auch in Zukunft sicherstellen - Krankenhausplanung neu ausrichten
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10.12.2008 | Beratung Haushalt 2009 | 54,2 KB | |
09.12.2008 | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens | 27,2 KB | |
06.06.2008 | Krankenhausfinanzierung dauerhaft sichern | 40,5 KB | |
09.05.2008 | Kinderschutz | 28,9 KB | |
09.04.2008 | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung | 49,1 KB |
Jahr 2007
- 13.12.2007 | Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2008 - Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
- 14.11.2007 | Vorlage eines Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung
- 19.10. | „In Würde altern – Selbstständigkeit stärken – Altersdiskriminierung bekämpfen“
- 13.09. | Sozialfonds einrichten und Kostenübernahme für Schülerbeförderung ändern
- 11.07. | Veräußerung des Niedersächsischen Landeskrankenhauses Osnabrück
- 11.07. | Nichtraucher schützen - Jugendschutz verbessern
- 25.04. | Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Nichtraucherinnen und Nichtraucher
- 26.01. | Schutz vor Passivrauchen
- 24.01. | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen-Maßregelvollzugsgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsschutz
Jahr 2006
- 07.12. | Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2007 - Bereich Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit -
- 10.10. | Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Kindergesundheit in Niedersachsen
- 15.09. | Verkauf der Landeskrankenhäuser: Bieterverfahren sofort stoppen Pannenserie beenden unabhängige Beratung sichern
- 15.09. | Nichtraucher schützen - Jugendschutz verbessern
- 13.07. | Erste Beratung: Behindertengleichstellungsgesetz jetzt
- 22.03. | Weiterentwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens, Einführung einer Gesundheitsberichterstattung, Modernisierung der gesetzlichen Grundlagen.
- 23.02. | Die aktive Väterrolle in der Familienarbeit und Kindererziehung stärken
Jahr 2005
- 08.12. | Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 (hier: Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit)
- 11.11. | Palliativmedizin fördern, Hospizarbeit vernetzen
- 16.09. | Privatisierung der Landeskrankenhäuser stoppen
- 24.06. | Vorlage eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Transplantationsgesetzes
- 22.06. | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kammergesetzes für die Heilberufe
- 18.05. | Patientenrechte und Patientensouveränität stärken, Patientenbeauftragte(n) berufen, Patientinnen und Patienten stärker beteiligen
- 18.05. | Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kammergesetzes für die Heilberufe
- 21.04. | Keine Finanzierung des Gesundheitssystems über Kopfprämie zulasten von Familien, Rentnern und Arbeitsplätzen
Jahr 2004
- 16.12. | Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs
- 15.12. | Zum Haushaltsentwurf 2005 der CDU/FDP-Landesregierung in Niedersachsen
- 29.10. | Landesblindengeld neu strukturieren - Nachteilsausgleich erhalten - Leistungsrecht für sehbehinderte Menschen weiterentwickeln
- 29.10. | Keine Finanzierung des Gesundheitssystems über Kopfprämien zu Lasten von Familien, Rentnern und Arbeitsplätzen
- 17.09. | Landesblindengeld als Nachteilausgleich erhalten
- 28.05. | Erste Beratung: Kassenzahnärztliche Vereinigungen dürfen der Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung nicht länger im Weg stehen
Jahr 2003
- 25.06. | Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit: Partnerschaftliche Sozialpolitik
- 15.05. | Erste Beratung: Beamtinnen und Beamte freiwillig in die gesetzliche Krankenversicherung einbeziehen, Kosten der Beihilfe kontrollieren, Gebührenordnungen für medizinische Berufe begrenzen
- 02.04. | Landeskrankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft erhalten